Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

230 Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Bilden Sie Gruppen und fassen Sie Ihre Kenntnisse zur Textinterpretation aus dem Deutschunterricht zusammen! Nehmen Sie dazu auch die Methodenseite „Philosophi­ sche Texte lesen“ zu Hilfe! Allem Verstehen ist eigentümlich, daß es einen Rest des Nicht-Verstehens hinter- läßt. […] Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen , alle Über- einstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen. […] Verstehen schließt die Möglichkeit des Mißverstehens ein. Hans Robert Jauß: Wege des Verstehens (1994), S 18 f. Der Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß fasst hier einige zentrale Überlegun- gen zum Thema Verstehen zusammen. Der Satz „Ich verstehe dich“ wirkt auf den ersten Blick noch ganz freundlich, auf den zweiten Blick jedoch kann er wie eine Drohung anmuten. Immerhin unterstellt ein solcher Satz stets auch ein „Ich habe dich durchschaut, mir machst du nichts mehr vor“. In einer solchen Weise an andere Menschen oder auch an Texte heranzugehen, ist gleichermaßen fatal. Lektüre kann so leicht zu einem Akt der rücksichtslosen Aneignung und Vereinnahmung geraten. Daher ist bei jedem Versuch, sich einen Text zu erschließen, Vorsicht angeraten: Der Text hat zumindest Anteile, die mir entweder fremd bleiben werden oder die doch auch ganz anders gelesen werden können, als ich es tue, ohne dass meine Interpreta- tion deswegen falsch sein muss. Die andere ist es nur eben auch nicht. Wer Begriffe und Texte interpretiert, sucht für gewöhnlich nach deren Bedeutung . Doch steht diese von vornherein fest und muss nur noch aufgefunden werden wie ein Gegenstand, den man verlegt hat? Eher nicht, wenn man die kurzen Hinweise auf das komplexe Verhältnis zwischen Autor/in, Text und Leser/in ernst nimmt, die in diesem Unterkapitel bereits gemacht wurden. Bedeutung entsteht in diesem Spannungsfeld und variiert daher auch abhängig von den jeweils konkreten Teilnehmerinnen/ Teilnehmern. Interpretation ist eben keine Einbahnstraße, sondern ein komplexer Vorgang, zu dem Interpretinnen/Interpreten sehr viel mehr beitragen als bloß Aufnahmebereitschaft und ein paar Lesekenntnisse. Je nachdem, was Leser/innen wissen und an Denkleistung beizutragen bereit oder in der Lage sind, verändert sich auch die Bedeutung der Worte und Sätze. Sie verändert sich nicht unbegrenzt, denn jeder Text stellt nur ein Potential zur Verfügung, das irgendwann erschöpft ist. Die zwangsläufige Grenze einer Interpretation bildet der äußerstenfalls vertretbare Textzusammenhang. Was mit Blick auf den Text gar nicht mehr als Deutung erschei- nen kann, ist keine solche mehr, sondern bestenfalls ein Ge- oder Missbrauch des Texts. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie Beispiele für Gesprächsoder Lektüresituationen, in denen Sie das Gefühl hatten, etwas grundlegend missverstanden zu haben oder missverstanden worden zu sein! Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie Ihre Erfahrungen! 1 ausFüHrunG VerTieFunG Bedeutung Sinn oder Inhalt (Gehalt) einer sprachlichen Äußerung 2 r Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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