Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
232 Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie weitere Beispiele zum Thema Falsifizierbarkeit und Falsifikation und diskutieren Sie sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn! Ein offenbar willkürliches Element, das sich aus zufälligen persönlichen und histo- rischen Umständen zusammensetzt, ist immer ein formgebender Bestandteil der Überzeugungen, die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft in einer bestimmten Zeit angenommen werden. Dieses Element von Willkür deutet aber nicht darauf hin, daß irgendeine Gruppe von Wissenschaftlern ihren Beruf ohne eine Reihe von anerkannten Überzeugungen ausüben könnte. Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (2. Aufl. 1970; 13. Aufl. 1995), S. 19. Da wären wir wieder bei den unhinterfragten Überzeugungen. Es gibt sie naturgemäß auch im wissenschaftlichen Bereich; dort gelten sie häufig als Paradigmen. Wir haben bereits die Auffassung kennengelernt, dass manche grundlegenden Annahmen nicht mehr hinterfragt werden können. Man kann sie mit mehr oder weniger guten Gründen akzeptieren oder ablehnen, so richtig begründen lassen sie sich letztlich nicht. Allerdings ist hier Vorsicht geboten; leicht überschreitet man hier die Grenzen zur Ideologie im Sinne eines Konstrukts, das entweder auf Ignoranz gründet oder in der Absicht errichtet worden ist, Machtverhältnisse zu verschleiern oder sie als etwas anderes auszugeben. Regelwissenschaft ist, so der Physiker und Wissenschaftstheore- tiker Thomas S. Kuhn, oftmals nicht in der Lage, hinter die Kulissen ihrer eigenen Voraussetzungen zu blicken. Dies müssten Wissenschaftsphilosophie und Wissen- schaftsgeschichte leisten. Der Begriff Wissenschaft wurde jetzt schon mehrfach im Plural verwendet; auch von Wissenschaftskulturen war die Rede. Es ist bestimmt kein Nachteil, dies ein wenig genauer zu erklären. Natur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung unter- scheiden sich in ihren Fragestellungen und Methoden deutlich voneinander. Dennoch ist keine der damit bezeichneten Richtungen wissenschaftlicher als die andere. Auch sind all diese Wissenschaftskulturen in sich selbst keineswegs homogen, sondern sehr vielschichtig. So gibt es etwa in der Physik sehr theoretische Ansätze, die mehr mit mathematischer Logik zu tun haben als mit experimentellen Verfahren. Für die Schnittmengen von Geistes- und Sozialwissenschaften wird zunehmend die Bezeich- nung Kulturwissenschaften oder cultural studies gebräuchlich. 1 ausFüHrunG Paradigma von gr. parádeigma , „Vorbild, Muster“ VerTieFunG úú Kapitel 6.3.2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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