Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

236 Dass Menschen, die sich zu derart hochgesteckten Zielen vortasten, sehr verschieden- artige Wege beschreiten, überrascht deshalb nicht. Allein schon die Frage, was erkannt werden kann und soll, wurde im Lauf der Philosophiegeschichte unterschied- lich beantwortet und wird es je nach philosophischem Standpunkt noch heute. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Lesen Sie sich nochmals die Fragen Kants am Ende von Abschnitt 6.1.2 durch! Fassen Sie sie in eigene Worte und notieren Sie das Ergebnis! Im Gespräch mit ihm schien mir dieser Mann zwar vielen andern Menschen auch, am meisten aber sich selbst sehr weise vorzukommen, es zu sein aber gar nicht. Darauf nun versuchte ich ihm zu zeigen, er glaubte zwar weise zu sein, wäre es aber nicht; wodurch ich dann ihm selbst verhasst ward und vielen der Anwesenden. Indem ich also fortging, gedachte ich bei mir selbst, als dieser Mann bin ich nun freilich weiser. Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas tüchtiges oder sonderliches wissen; allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht. Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen. Platon: Apologie des Sokrates 21c,d. Sokrates hat wieder einmal jemanden in ein Gespräch verwickelt. Diesmal geht es darum zu ergründen, warum das Orakel von Delphi verkündet hat, niemand sei weiser als Sokrates. Um den Orakelspruch zu widerlegen, sucht Sokrates jemanden, der weiser wäre als er. Allerdings gerät er nur an eine Person, die sich für weise hält und dabei noch nicht einmal die Grenzen des eigenen Nicht-Wissens kennt. Weniger Weisheit ist im Grunde aber nicht möglich. Wie sollte jemand weise sein, der nicht einmal seine eigenen Grenzen kennt? Grenzen und Möglichkeiten zu erkennen ist für philosophisches Denken elementar wichtig. Ansonsten kann es leicht zu unzulässigen Verallgemeinerungen und Verab- solutierungen kommen. Man glaubt dann, die Wahrheit aufzuspüren, obwohl es sich nur um einen vertretbaren Gesichtspunkt handelt. Dass die Behauptung absoluter Wahrheiten rasch unangenehme Folgen haben kann, wird in Hinblick auf die Frage „Was soll ich tun?“ unmittelbar einsichtig. Menschen, die meinen, genau und abschlie- ßend zu wissen, wie die Welt funktioniert, was sie und andere antreibt und welche Möglichkeiten zu handeln überhaupt bestehen, reagieren meist intolerant auf alle, die anderer Ansicht sind. Ihre Bereitschaft, andere so leben zu lassen, wie sie es möchten, tendiert gegen Null, wenn dies ihren eigenen Überzeugungen widerstreitet. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten An einer Stelle der „Kritik der reinen Vernunft“ schreibt Kant, „Dummheit [sei] Mangel an Urteilskraft“ (KrV, A 133/B 172). Was könnte damit gemeint sein? Notieren Sie Ihre Überlegungen dazu und diskutieren Sie dann gemeinsam darüber! 1 ausFüHrunG VerTieFunG 2 t Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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