Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

238 Von den vorläufigen Urteilen müssen die Vorurteile unterschieden werden. Vorur- teile sind vorläufige Urteile, in so ferne sie als Grundsätze angenommen werden. – Ein jedes Vorurteil ist als ein Prinzip irriger Urteile anzusehen und aus Vorurtei- len entspringen nicht Vorurteile, sondern irrige Urteile. […] Zuweilen sind die Vorurteile wahre vorläufige Urteile; nur daß sie uns als Grundsätze oder als bestim- mende Urteile gelten, ist unrecht. […] Die Hauptquelle der Vorurteile sind: Nach- ahmung, Gewohnheit und Neigung. Immanuel Kant: Logik, Einleitung IX, A 116 f. Kants Blick auf das Thema Vorurteile fasst zusammen, inwiefern diese problematisch sind. Ein grundlegendes Problem ist die unzulässige Verallgemeinerung sehr vorläufi- ger Annahmen. Daraus ergeben sich unzutreffende Schlussfolgerungen. Etwas wird zum Grundsatz erhoben, ohne dass darüber nachgedacht wird, warum. Auch die Quellen sind benannt: Nachahmung und Übung spielen eine große Rolle. Geschätzt wird aber auch, was einem selbst entgegenkommt. So kann es jemandem leicht plausibel vorkommen, dass er/sie selbst zu einer Gruppe gehören soll, die sich in jeder Hinsicht vorbildlich verhält, während alle anderen gewisse Mängel haben, an deren Behebung sie arbeiten sollen. Denkt er/sie genauer darüber nach, sollten ihm/ihr aber doch Zweifel kommen. Der Begriff Ideologie ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie massiv der Bedeutungs- wandel von Begriffen im Lauf der Zeit sein kann. Geprägt wurde er Ende des 18. Jahrhunderts von Antoine Louis Claude Destutt de Tracy, einem Philosophen und Politiker, der sich ausdrücklich als Aufklärer verstand. Unter Ideologie verstanden er und einige Gleichgesinnte die Wissenschaft von den Ideen oder Wahrnehmungen, die es empirisch zu erforschen galt. Während der Herrschaft Napoleons gerieten sowohl die Philosophen um Destutt de Tracy wie auch ihre Begrifflichkeit in Misskredit. Ideologie wurde nun mehr und mehr zu einer Bezeichnung für bewusste Täuschung und Betrug. Später wurde der Begriff immer wieder aufgegriffen, etwa von Karl Marx und Friedrich Engels. In ihrer Theorie des Historischen und Dialektischen Materialis- mus bezeichnete der Begriff das, was sie falsches Bewusstsein nannten: Wer über die Produktionsmittel verfüge, gestalte auch die Welt der Vorstellungen und Ideen (Überbau), und zwar für alle, insbesondere für die, denen es an Macht und ökonomi- schen Mitteln mangele. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Recherchieren Sie das Wort Ideologie und stellen Sie die wichtigsten Bedeutungen und Begriffsmerkmale zusammen! ausFüHrunG VerTieFunG Antoine Louis Claude Destutt de Tracy (1754–1836) úú Kapitel 8.3 2 Ideologie Wörtlich meint der Begriff nichts weiter als Lehre (gr. lógos ) von der Idee (gr. idéa ), ein Kernanliegen metaphysischer Lehren. Im Zusammenhang mit politischen Ideen kann er auch wertfrei als Bezeichnung für die programmatischen und grundsätzlichen Sichtweisen einer politischen Richtung oder Partei verwendet werden. Meist wird er abwertend gebraucht im Sinne einer fragwürdigen Programmatik, die oft nicht einmal ausgespro­ chen, sondern von den Beteiligten stillschweigend geteilt wird (z. B. eine faschistische oder marxistische Ideologie ). Ganz allgemein kann mit Ideologie aber auch ein System von Grundhaltungen und Wertungen bezeichnet werde, das von einer bestimmten Gruppe geteilt, aber eben nicht hinterfragt wird. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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