Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

246 päischer Philosophie (zu der die nordamerikanische nicht gerechnet werden kann, die ebenfalls auf europäischen Philosophietraditionen gründet) setzt zudem sprachliche oder doch zumindest historische Kenntnisse voraus, die im Rahmen eines Einfüh- rungslehrbuchs nicht vermittelt werden können. Wir werden daher zwar den einen oder anderen Hinweis auf außereuropäische und interkulturelle Philosophie geben, müssen es aber bei solchen auch schon wieder belassen, weil eine weiterführende Beschäftigung den Rahmen dieses Bandes sprengen müsste. Eine andere Facette der historischen Dimension eines ersten Zugangs zur Philosophie besteht darin, dass auch in diesem Bereich nichts vom Himmel fällt , sondern in Kontexten geschieht, die wechselseitige Wirksamkeit entfalten. Daraus ergeben sich auch thematische Schwerpunktbildungen und Verschiebungen. So können wir sagen, dass Erschütterungen scheinbarer Gewissheiten den Fokus eher auf die Grundlagen des Denkens legen und von hochfliegenden Plänen, irgendwelche Weltformeln zu finden, abrücken lassen. Auch die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen von Wissenschaft und menschlicher Erkenntnis verändern sich immer wieder. Ähnlich verhält es sich, wenn patriarchale Strukturen erschüttert werden und sich ihre Fragwürdigkeit offen erörtern lässt. So gingen mit dem politischen Engagement von Feministinnen im 20. Jahrhundert auch entsprechende philosophische Fragestellun- gen einher. Dadurch hat sich der Philosophie ein wichtiges und relativ neues Feld geöffnet, das sich freilich schon früher hätte öffnen können, an Gelegenheiten und vor allem Anlässen hat es nicht gefehlt. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Besprechen Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn, welche anderen Traditio­ nen des Denkens für Sie interessant wären! Geben Sie dafür Ihre Gründe an! Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmtheit legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt. […] Nur die Vermittlung anderer kann ein Individuum zum Anderen machen. Solange das Kind für sich existiert, vermag es sich nicht als geschlechtlich differenziertes Wesen zu begreifen. Für Mädchen wie für Knaben ist der Körper zunächst die Ausstrahlung einer Subjektivität, das Werkzeug zum Ver- ständnis der Welt; sie begreifen das Universum mit den Augen, mit den Händen, nicht mit den Geschlechtsteilen. Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, 2. Buch, 1. Teil 1, S. 334. Simone de Beauvoir war eine der Ersten, die auf die soziale und kulturelle Konstruiert- heit der Kategorie Geschlecht hingewiesen hat, lange bevor zwischen sex und gender unterschieden worden ist. Wir werden auf diese Thematik noch genauer eingehen. An dieser Stelle sei nur darauf verwiesen, dass sich auch das Themenspektrum der Philosophie im Lauf der Zeit verändert, auch wenn sich zurecht die Frage stellt, weshalb ein so wichtiger Fragenkomplex so lange ausgeklammert bleiben konnte. Vermutlich hat es damit zu tun, dass Philosophie in Europa jahrhundertelang eine männliche Domäne war – obwohl doch schon Platon in seiner „Politeia“ festgehalten hatte, dass Frauen nicht weniger geeignet als Männer seien, zu philosophieren – und Polylog In dem von Franz Martin Wimmer (geb. 1942), einem Wiener Philoso­ phen entwickelten Konzept interkulturellen Philosophierens, spielt der Aspekt wechselseitigen, gleichberechtigten kommunikativen Austauschs zwischen Kulturen eine zentrale Rolle. Ein solcher Polylog zwischen den Kulturen ist freilich eher ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann, nicht etwas, das irgendwo bereits erreicht wäre. 1 r ausFüHrunG Simone de Beauvoir (1908–1986) úú Kapitel 4.2 úú Kapitel 9.2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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