Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

253 Wie oft doch kommt es vor, daß ich mir all diese gewöhnlichen Umstände während der Nachtruhe einbilde, etwa daß ich hier bin, daß ich, mit meinem Rocke beklei- det, am Kamin sitze, während ich doch entkleidet im Bette liege! Jetzt aber schaue ich doch sicher mit wachen Augen auf dieses Papier, dies Haupt, das ich hin und her bewege, schläft doch nicht, mit Vorbedacht und Bewußtsein strecke ich meine Hand aus und fühle sie. So deutlich geschieht mir dies doch nicht im Schlaf. […] Denke ich noch einmal genauer hierüber nach, so sehe ich, daß Wachsein und Träumen niemals durch sichere Kennzeichen unterschieden werden können […], so muß man in der Tat doch zugeben, das im Schlafe Gesehene seien gleichsam Bilder, die nur nach dem Muster wahrer Dinge sich abmalen konnten, das also wenigstens dies Allgemeine: Augen, Haupt […] nicht bloß eingebildet ist, sondern wirklich existiert […]. René Descartes: Meditatio I 5 f. Schon die Unterscheidung zwischen Schlafen und Wachen ist im Grunde genommen nicht ganz einfach, weil es bei genauerem Hinsehen kein Kriterium gibt, das dafür herangezogen werden könnte. Für Descartes sind es einmal mehr allgemeine Vorstel- lungen, die ein Abgrenzungskriterium hergeben. Wie auch immer, die Realitätsprüfung ist bei genauerer Betrachtung weder eine einfache noch eine selbstverständliche Angelegenheit. Ein ähnliches Problem wie Descartes stellte sich fast 2000 Jahre vor ihm schon der chinesische Philosoph Zhuangzhou (365–290 v. Chr.), wobei Descartes Zhuangzhous Überlegungen kaum gekannt haben kann. In dem nach diesem benannten Buch „Zhuangzi“ wird berichtet, Zhuangzhou habe einmal sehr plastisch geträumt, er sei ein AuSFüHrunG VErTiEFunG Wirklichkeiten – Straßen­ kunst in Sarasota, Florida; 2012 Wirklichkeit und ihre Erkenntnis Wirklichkeit und ihre Erkenntnis 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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