Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

262 Erkenntnis. Für John Locke etwa kam alle Erkenntnis über die Sinnesorgane zustande, und zwar ausschließlich. Allerdings ging auch Locke nicht davon aus, dass wir Dinge als solche erkennen können. Wohl aber würden wir Ideen oder Vorstellungen zu diesen Dingen bilden, und diese kämen über Sinnesreize zustande. Ausgehend von ganz einfachen Vorstellungen bilden wir, so Locke, immer komplexere oder zusam- mengesetzte Ideen. Bei diesen einfachen Vorstellungen handelt es sich etwa um den Eindruck, dass etwas hart oder weich, fest oder flüssig ist, wenn wir es ertasten. Viele solcher Eindrücke setzen wir zu einer komplexen Vorstellung, etwa eines bestimmten Tieres, zusammen. Locke spricht in diesem Zusammenhang von Substanzen . Doch all dies entsteht nach seiner Auffassung allein auf der Grundlage von Wahrnehmung. Zunächst (als Kinder) haben wir gar keine Vorstellungen, unsere Köpfe sind gewisser- maßen vollkommen leer. Wenn wir geboren werden, ist unser Verstand eine leere Tafel (tabula rasa) , wie Locke sagt. Alsbald jedoch beginnen wir Eindrücke zu sammeln, die uns durch Sinnesreize vermittelt werden (sensations) . Doch werden uns Eindrücke auch durch die inneren Aktivitäten unseres Verstandes (reflection) vermittelt. So etwa die einfache Idee von Freude oder Trauer. Wir nehmen schließlich auch nach Locke nicht rein passiv wahr. Vielmehr verknüpft unser Verstand die Sinneseindrücke, wägt sie ab, denkt darüber nach. Auch diese Tätigkeiten des Verstandes selbst können wir beobachten. Verknüpfungen können durch Vergleiche ähnlicher Ideen entstehen, oder aber durch Assoziationen, Verbindungen, die sich aus Gewohnheit und Übung ergeben. Doch steht hinter diesen Verknüpfungsakten niemals ein kreatives und einheitliches Subjekt, vielmehr konstituiert – und verändert – sich auch das Subjekt der Erkenntnis selbst über den steten Wahrnehmungsprozess. Erkenntnis entsteht daher für Locke aus der Wahrnehmung des Zusammenhangs oder des Widerstreits zwischen Ideen. Für David Hume gibt es gar keine andere Erkenntnisgrundlage als die Wahrnehmung von einfachen Eindrücken (impressions) , die über Nervenreize im Gehirn zu komplexe- ren Vorstellungen (ideas) zusammengesetzt werden. Basis jeder wirklichen Erkenntnis sind aber die impressions , die einfachen Eindrücke. Deshalb wird der von Hume vertretene Ansatz auch als Sensualismus bezeichnet. Der Verknüpfungsvorgang erfolgt assoziativ und ist eher mechanistisch gedacht, ein aktiver Intellekt spielt für Hume keine Rolle. Deshalb gibt es auch so etwas wie ein Ich oder ein Selbst, das eine dauerhafte Verbindung zwischen den Sinneseindrücken herstellen könnte, für Hume nicht. Ein anderer englischer Sensualist des 18. Jahrhunderts, George Berkeley, zog übrigens aus dem Primat der sinnlichen Wahrnehmung ganz andere Schlüsse. Auch er maß ihr entscheidende Bedeutung als Grundlage von Erkenntnis bei, betrachtete sie aber als eher kreativen Vorgang; alles Sein sei nichts anderes als Vorgestellt-Werden („esse est percipi“). Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Beschreiben Sie mit eigenen Worten, wie der Erkenntnisprozess nach Ansicht Lockes abläuft! Vergleichen Sie die Positionen von Berkeley, Hume und Locke! Welche Gemeinsamkei­ ten und welche Unterschiede können Sie feststellen? Begründen Sie Ihre Einschätzun­ gen! John Locke (1632–1704) úú Kapitel 6.3 1 2 t Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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