Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
264 der Bezugnahme durch den menschlichen Verstand voraussetzt. Diese Formen der Wahrnehmung bestimmen die wahrgenommenen Gegenstände und nicht umgekehrt. Insofern schlug Kant vor, Wahrnehmung ganz grundsätzlich vom Prozess der mensch- lichen Erkenntnis her zu begreifen, nicht von wahrgenommenen Gegenständen oder Sinneseindrücken her. Von zentralem Interesse sind daher die Formen menschlichen Erkennens und ihre Bezugnahmen auf etwas. Kant nennt seine Erkenntnistheorie transzendentalphilosophisch , weil sie sich nicht primär mit den Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart beschäftigt, die der Wahrnehmung vorausliege und im Vergleich zu ihr also a priori (d. h. früher) erfolge. Wir könnten auch sagen, Kant setzt bei unserem Wahrnehmungsapparat an und fragt, wie wir überhaupt etwas wahrnehmen können. Dadurch wird der Möglichkeitsbereich menschlicher Wahrnehmung allgemein abgesteckt und wird nicht nur bestimmt, was, sondern auch wie wir es überhaupt wahrnehmen können. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Stellen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Sichtweisen von Leibniz und Kant dar! Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie etwas a priori durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht […] besser damit fortkom- men, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten […]. Es ist hiemit eben so, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fortwollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XVI Kant schlägt einen Wechsel der Perspektive vor. Ähnlich wie Kopernikus plädiert er für eine geänderte Betrachtungsweise. Wenn die Sonne im Zentrum der Planetenbahnen steht und nicht die Erde, lassen sich die Planetenbewegungen viel einfacher und widerspruchsfreier als zuvor erklären. Ähnlich will Kant mit dem Erkenntnisprozess verfahren. Weil sich unsere Erkenntnis immer nur in unseren Köpfen vollzieht und wir nichts erkennen können, was wir nicht wahrnehmen, können wir auch gleich dabei ansetzen. Wahrnehmung ist dabei nicht als rein passive Übernahme von Eindrücken gedacht, sondern als komplexe Denkleistung. Diese Denkleistung ist wiederum an Voraussetzungen gekoppelt, nämlich an unsere Art, die Welt zu sehen, zu spüren, zu riechen … – und diese Wahrnehmungen zu verarbeiten. Hunde erschließen sich die Welt viel stärker über die Nase als Menschen, weil ihr Riechorgan weitaus sensibler ist als unseres. Hunde verfügen über eine deutlich höhere Zahl an Riechzellen als Menschen; sie können schneller atmen, und anders als 1 AuSFüHrunG VErTiEFunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum de Verlags öbv
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