Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

272 Kritik kam aus den Reihen positivistischer Philosophie und Wissenschaftstheorie selbst, etwa von Otto Neurath oder Karl Popper. Popper wies beispielsweise darauf hin, dass alles, was wir sagen, durchaus eine Menge Voraussetzungen enthält, die nichts mit dem zu tun haben, wovon wir gerade sprechen. Wenn ich also sage: „Hier steht ein Glas Wasser“, so ist das keine einfache Aussage, die einen Gegenstand einfängt, sondern ein Satz, der viele Vorannahmen einschließt. Wenn ich derlei sage, habe ich bestimmte Vorstellungen über Raum und Zeit („hier … steht“), physikalische und chemische Konsistenz von Dingen („Glas, Wasser“) und über deren zutreffende Bezeichnung. Insofern gibt es keine einfachen Sätze, die direkten Bezug auf eine außersprachliche Wirklichkeit nehmen. Damit ist allerdings weder gesagt, dass es eine solche nicht gibt, noch dass es undenkbar wäre, sprachliche Annäherungen an sie zu unternehmen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Formulieren Sie Protokollsätze für ein bis zwei einfache Sachverhalte! Diskutieren Sie dann gemeinsam, ob diese Sätze frei von Voraussetzungen und Vorannahmen sind! Erklären Sie die Grundannahmen der konstruktivistischen Ansätze mit Ihren eigenen Worten! Wir sprechen von harten Tatsachen . […] Eine Tür steht ein wenig offen. Ich versu- che sie zu öffnen. Etwas hindert mich daran. Ich presse mich gegen sie und erfahre ein Gefühl der Anstrengung und ein Gefühl des Widerstands. […] Alles Bewusst- sein, die gesamte wache Existenz, besteht in einem Gefühl der Reaktion zwischen Ich und Nicht-Ich, obwohl das Gefühl der Anstrengung nicht vorhanden sein muss. Charles Sanders Peirce: Collected Papers 1 (1931), S. 353. Für Peirce kann die Wirklichkeit, die außerhalb von Zeichen und Sprache existiert, nicht unmittelbar in die Sprache geholt, wohl aber als Widerstand erfahren werden. Man weiß vielleicht nicht, was genau es ist, aber es ist etwas, dem Realität zukommt und das mit unserer Deutung der Welt in Konflikt treten kann. Es kann sich um etwas handeln, worüber wir im Wortsinn stolpern oder wogegen wir erfolglos anrennen. In jedem Fall stört es den Fluss unserer Interpretationen und nötigt uns dazu, sie zu modifizieren. Auf diese Weise versuchen wir, uns das Hindernis zu erschließen. Manche konstruktivistischen Ansätze gebrauchen das Konzept einer außersprachli- chen Wirklichkeit nicht einmal mehr im Sinne einer Widerständigkeit. Der Philosoph Josef Mitterer etwa strebt eine nicht-dualisierende Redeweise an, die gänzlich im sprachlichen Kosmos verbleibt. Gegenstände oder Objekte wären demnach nicht mehr als Teile einer außersprachlichen Wirklichkeit zu betrachten, der man sich sprachlich irgendwie annähern möchte. Vielmehr wären sie als die Summe aller Beschreibungen aufzufassen, die es jetzt zu einem bestimmten Thema gibt (Beschreibungen „so far“) . Sie entsprechen dem, was beispielsweise in positivistischen Ansätzen als Gegenstand außerhalb der Sprache betrachtet wird. Davon ausgehend sind weitere Beschreibun- Otto Neurath (1882–1945) 1 2 AuSFüHrunG VErTiEFunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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