Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
275 Jede Meinung bzw. Überzeugung, die sich nicht einfach in einem Impuls zumHan- deln erschöpft, hat den Charakter eines Bildes, das mit dem Bejahungs- bzw. Ver- neinungsgefühl kombiniert ist. Wenn es mit einem Bejahungsgefühl kombiniert ist, ist es „wahr“, wenn es eine Tatsache gibt, die zu dem Bild in der Art von Ähn- lichkeitsbeziehung steht, die wir von der Ähnlichkeit zwischen einem Abbild und dem auf ihm Dargestellten kennen. Wenn das Bild mit einem Verneinungsgefühl kombiniert ist, ist es „wahr“, wenn es eine derartige Tatsache nicht gibt. Und eine Meinung bzw. Überzeugung, die nicht wahr ist, nennen wir „falsch“. Bertrand Russell: An Inquiry into Meaning and Truth (1940), S. 194 f. Dass es hier um die Vorstellung einer Übereinstimmung zwischen Tatsachen und Vorstellungen von ihnen geht, ist offenkundig. Das Konzept ist sehr stark an einer Terminologie orientiert, die sich in Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-philoso- phicus“ findet, der mit Russells Unterstützung 1921 erstmals erschienen war. Tatsa- chen gelten darin als Sachverhalte, worunter die Beziehungen zwischen Gegenstän- den, nicht die Gegenstände selbst, verstanden werden. Ein „Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nicht-Bestehen von Sachverhalten vor“ (Tracta- tus logico-philosophicus 2.11). Im Vergleich zur klassischen Korrespondenztheorie, wie Thomas von Aquin sie vertreten hat, wird die Sache hier doch deutlich komplexer. Es geht um die Beziehung von Sachverhalten und Vorstellungen zueinander, nicht so sehr um die Beziehung von Gegenständen und Sprache. Bei Alfred Tarski bewegt sich die Korrespondenztheorie nur noch im Bereich formalsprachlicher Ausdrucksformen (mathematischer Formeln), die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Bilden Sie Gruppen und erörtern Sie die zitierten Überlegungen von Bertrand Russell! Was spricht dafür, was dagegen? Begründen Sie Ihre Einschätzungen! 3.2 Zweifel an der Korrespondenztheorie Wie sollte die Übereinstimmung zwischen Denken oder Sprechen auf der einen und Gegenständen auf der anderen Seite denn auch aussehen? Auch die empiristische Tradition war davon ausgegangen, dass wir es in unserer Wahrnehmung mit Ein- drücken von Gegenständen und nicht mit Gegenständen selbst zu tun haben. Sprach- philosophische Positionen haben diese Perspektive durchaus geschärft. Wittgenstein weist etwa in seinem Werk „Tractatus logico-philosophicus“ darauf hin, dass die Welt aus Tatsachen oder Sachverhalten , also Beschreibungen von Gegenständen und Verhältnissen, nicht aus Gegenständen selbst bestehe. Wenn ich also auf einen Apfel der Sorte McIntosh zeige und sage: „Das ist ein roter Apfel“, schreibe ich einem Gegenstand eine Reihe von Bezeichnungen zu (Apfel; rot), die nicht im Gegenstand selbst liegen, sondern sich aus meinen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und diesen zugrunde liegenden Konventionen ergeben. AuSFüHrunG Bertrand Russell (1872–1970) VErTiEFunG 3 t GrundlaGEn Wirklichkeit und ihre Erkenntnis Wirklichkeit und ihre Erkenntnis 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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