Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

276 Abgesehen davon: Wie sollte die Wahrheit einer Aussage oder eines Denkaktes der Aussage oder dem Denkakt selbst oder einem etwaigen Gegenstand, auf den sie Bezug haben, entnommen werden? Immerhin gibt es doch sehr viele und ganz unterschiedliche Gegenstände. Deshalb hat etwa Kant betont, dass sich auf inhaltli- cher (materialer) Ebene kein allgemeines Kriterium für Wahrheit angeben lässt, ohne dass Selbstwidersprüche entstehen. Ein solches Kriterium vermag nur in formaler , also in logischer Hinsicht angegeben zu werden. Die Aussagen sollen mithin kohärent sein, weshalb man solche Ansätze auch Kohärenztheorien der Wahrheit nennt. Andere Philosophinnen/Philosophen haben präzisiert, dass es um Widerspruchsfreiheit in einem umfassenden System von Bedeutungen gehe. Aber gibt uns die innere Logik einer Aussage Auskunft darüber, ob die Aussage wahr ist, oder eher darüber, ob sie für wahr gehalten werden kann? Dass ein korrekter Bezug zwischen ihr und dem Gegen- stand, auf den sie sich bezieht, tatsächlich besteht, ergibt sich daraus ja gerade nicht. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Analysieren Sie, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Satz logisch widerspruchsfrei formuliert ist! Lesen Sie dazu nochmals in Kapitel 6.2 nach! Tauschen Sie Ihre Ergebnisse mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn aus! Es ist aber klar, daß, da man […] von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmög- lich und ungereimt sei, nach einem Merkmale der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und doch zugleich allge- meines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne. […] Was aber das Erkenntnis der bloßen Form nach […] betrifft, so ist ebenso klar: daß eine Logik, sofern sie die allgemeinen und notwendigen Regeln des Verstandes vorträgt, eben in diesen Regeln Kriterien der Wahrheit darlegen müsse. Denn, was diesen widerspricht, ist falsch, weil der Verstand dabei seinen allgemeinen Regeln des Denkens, mithin sich selbst widerstreitet. Diese Kriterien betreffen aber nur die Form der Wahrheit […]. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 84 / A 59 f. Ist das formale Kriterium der in sich logischen und schlüssigen Argumentation erfüllt, sagt das im Grunde noch immer nicht, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Es sagt nur, ob sie in sich widersprüchlich ist oder nicht. Ist sie selbstwidersprüchlich, so kann sie, wie wir bereits in Kapitel 6 gesehen haben, nicht als wissenschaftlich oder philosophisch relevant eingestuft werden. Ob sie deshalb wahr oder falsch ist, ist damit nicht beantwortet. In unseren Alltagsvorstellungen gehen wir meist durchaus davon aus, dass einfache Beziehungen zwischen Dingen und Wörtern möglich sind. Unsere Vorstellung von Wahrheit beschränkt sich dabei nicht auf die Idee, dass wir Wörter Dingen oder Verhältnissen korrekt zuordnen, sondern auch darauf, dass wir ausdrücken, was wir für zutreffend halten. Wenn nun jemand wissentlich etwas sagt, was er/sie für falsch 1 AuSFüHrunG VErTiEFunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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