Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

281 4 Deutungshoheit: Wahrheitsfragen als Machtfragen Wer über absolute Wahrheiten verfügt, braucht keinen Widerspruch mehr zu fürchten, denn jeder Widerspruch wäre unsinnig. Wer behauptet, über absolute Wahrheiten zu verfügen, und dies auch unwidersprochen tun kann, übt wirkliche Macht aus. 4.1 Absolute Wahrheiten Die Suche nach absoluten Wahrheiten war sowohl in der Philosophie- als auch in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder ein Thema, obwohl die Vorstellung von absoluten Wahrheiten im Grunde sehr stark in religiöse Sphären zurückverweist. Georg Wilhelm Friedrich Hegel etwa war der Ansicht, mit seinem philosophischen System erkennen zu können, was unvergänglich, ewig, an und für sich sei, eben die Wahrheit. Auch in den modernen Naturwissenschaften wurde immer wieder der Anspruch auf abschließende und umfassende Kenntnisse erhoben, die sogar eine Berechenbarkeit zukünftiger Ereignisse ermöglichen sollten. So ging etwa der Mathematiker und Physiker Pierre-Simon de Laplace davon aus, dass es möglich sein sollte, nach entsprechender Datensammlung anhand von mathematischen Gleichungssystemen sämtliche vergangenen und künftigen Ereignisse zu berechnen. Denn alles, was geschehe, sei durch Naturgesetze determiniert. Kenne man sie, so lasse sich die gesamte Welt auf eine mathematische Formel bringen (Weltformel) und abschließend begreifen. Selbst wenn dies nicht mit vollständiger Sicherheit möglich sei, so doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Dies würde natürlich sehr lange Zeit brauchen, sei aber das anzustrebende Ziel aller Forschung. Von ähnlichen Annahmen ließ sich später auch der Logische Empirismus leiten: Zu sammeln seien einfachste Fakten, die es mit Hilfe von Protokollsätzen zu beschreiben gelte. Im nächsten Schritt sei es möglich, aus dem so gewonnenen Faktenwissen induktiv auf allgemeine Naturgesetze zu schließen und mittels Wahrscheinlichkeits- rechnung Prognosen zu erstellen. Philosophische Systeme versuchten umfassende und widerspruchsfreie philosophi- sche Aussagen über sämtliche denkbare Fragen und Probleme zu machen, von der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie über den Verlauf der Geschichte, die Kunst, das Recht, bis hin zum Wesen des Menschen schlechthin. Umfangreiche Systeme dieser Art haben insbesondere Gottfried Wilhelm Leibniz, Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel entworfen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Kann es absolute Wahrheiten geben? Worin könnten sie bestehen? Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie Ihre Vorstellungen! GrundlaGEn Pierre-Simon de Laplace (1749–1827) úú Kapitel 6.2 System von gr. sýstema , „aus Einzelteilen zusammenge­ fügtes und gegliedertes Ganzes, Vereinigung“; gedacht ist an ein Ganzes, das in sich selbst sinnvoll strukturiert und möglicherweise auch in sich geschlossen ist. 1 r Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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