Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

282 Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirken- den Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennte und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Ana- lysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts würde ihr ungewiß sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen. Der mensch- liche Geist bietet in der Vollendung, die er der Astronomie zu geben verstand, ein schwaches Abbild dieser Intelligenz dar. […] Alle […] Bemühungen beim Aufsu- chen der Wahrheit wirken dahin, ihn unablässig jener Intelligenz näher zu bringen, von der wir uns eben einen Begriff gemacht haben, der er aber immer unendlich ferne bleiben wird. PierreSimon de Laplace: Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit (1814; dt. 1932), S. 1 f. Diese ideale Intelligenz wurde in der Folge auch als Laplacescher Dämon bezeichnet. Sie ist eine Konstruktion, die dem menschlichen Geist bewusst entgegengesetzt wird. Dieser kann sich ihr allerdings annähern. Die Welt ist für Laplace vollständig festge- legt (determiniert) und folgt strengen mathematischen Gesetzmäßigkeiten. Dass Menschen nicht in der Lage sind, sie angemessen nachzuvollziehen, zeigt ein bedau- erliches Defizit des menschlichen Geistes, ändert aber nichts an der Geschlossenheit und der prinzipiellen Berechenbarkeit des Weltsystems. Menschen müssten ihren Ehrgeiz daransetzen, diese Aufgabe zu lösen, auch wenn sie noch sehr weit davon entfernt sind, dies bewerkstelligen zu können. Das Adjektiv wahrscheinlich meint nicht, wie öfters vermutet, dass etwas wahr zu sein scheint, sondern dass es dem Wahren ähnlich ist. Es geht also nicht um den Anschein von Wahrheit oder um einen abgeschwächten Wahrheitsanspruch, sondern um eine Annahme, die einen relativ hohen Grad an Sicherheit aufweist. Wie hoch dieser Grad sein kann, ist allerdings umstritten. Für Laplace etwa unterscheidet sich Wahrscheinlichkeit von Gewissheit nur dadurch, dass eine kleine Möglichkeit des Irrtums übrig bleibt. Nicht-deterministische Theorien, etwa die Quantentheorie, gehen gar nicht davon aus, dass die Welt oder das Univer- sum festgelegt ist. Die Berechnung von Wahrscheinlichkeit geht dann von einer zufälligen Häufigkeit von Ereignissen aus, aus der auch keine sichere oder quasisi- chere Prognose, sondern nur eine fundierte Vermutung abgeleitet werden kann. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Analysieren Sie das Modell des Laplaceschen Dämons! Inwieweit erscheint es Ihnen nachvollziehbar, wo sehen Sie Probleme? Geben Sie mit eigenen Worten Definitionen der Begriffe Wahrscheinlichkeit , Gewissheit sowie absolute Wahrheit und arbeiten Sie die Unterschiede heraus! AuSFüHrunG VErTiEFunG O  Literaturempfehlung: PierreSimon de Laplace: Versuch über die Wahrscheinlichkeit, S. 5. 2 t 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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