Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

291 dynamische Komponente des Partizips geworfen an. Menschen haben eben andere Möglichkeiten als ein Baum. Sie sind, um noch kurz bei Heideggers Terminologie zu bleiben, nicht nur ge- , sondern auch entworfen . Das Dasein ist in Bewegung begriffen, es ist nicht statisch, es verändert sich. Ob Heidegger davon ausgeht, dass dem Dasein sein Entwurf gewissermaßen vorgegeben ist, oder ob wir die Richtung beeinflussen oder gar bestimmen können, in die unser Dasein verläuft, ist offen. In jedem Fall machen wir uns Vorstellungen über die Richtung, wir setzen uns Ziele, machen uns Hoffnungen, stellen uns vor, wie es später sein wird. Es kann sich um langfristige Konzepte handeln, wie wir unser Leben gestalten können, oder auch um ganz kurzfristige Pläne. Je wichtiger uns die Sache ist, desto mehr sehnen wir eine Ent- wicklung herbei und greifen ihr gedanklich vor. Heidegger spricht deshalb auch von Vorgriff . Wir nehmen etwas vorweg. Das tun wir schon bei simplen Urlaubsplänen. Wenn wir eine Reise ans Meer buchen, stellen wir uns schon vor, wie wir später am Strand liegen werden. Zugleich sorgen wir uns, ob unsere Vorgriffe auch einlösbar sind. Doch wie auch immer diese Konzepte, Planungen, Vorgriffe aussehen und wie sehr oder wie wenig wir uns bemühen, sie umzusetzen, und ob uns das gelingt, das Äußerste, auf das wir mit unseren Gedanken vorgreifen können, ist der Tod. Denn auf ihn läuft das Dasein in letzter Konsequenz hinaus, er begrenzt es, er macht es endlich . Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Erläutern Sie Heideggers Idee des Vorgriffs mit eigenen Worten und geben Sie dazu ein Beispiel! Wenn wir sagen: Seiendes „hat Sinn“, dann bedeutet das, es ist in seinem Sein zugänglich geworden, das allererst, auf sein Woraufhin entworfen, „eigentlich“ „Sinn hat“. Das Seiende „hat“ nur Sinn, weil es, als Sein im vorhinein erschlossen, im Entwurf des Seins, das heißt, aus dessen Woraufhin verständlich wird. Der primäre Entwurf des Verstehens von Sein „gibt“ den Sinn. Die Frage nach dem Sinn des Seins eines Seienden macht das Woraufhin des allem Sein von Seiendem zugrundeliegenden Seinsverstehens zumThema. Martin Heidegger: Sein und Zeit (17. Aufl. 1993), S. 324 f. Sie sehen, dass die Sprache, derer sich Heidegger bedient, sehr anspruchsvoll ist. Sie erschließt sich dem/der Leser/in nur, wenn er/sie bereit ist, sich in sie einzulesen und auf sie einzulassen – doch sollte auch dieses Sich-Einlassen auf keinen Fall unkritisch erfolgen. An dieser Stelle von Heideggers bekanntestem Buch geht es um den oben angesprochenen Entwurf , das Woraufhin , aus dem sich die konkrete Vorstellung von Sinn oder Bedeutung, die einem bestimmten Sein zugeschrieben wird, ergeben soll. Sehr vereinfacht ausgedrückt: Das Konzept, der Entwurf, den jemand sich von seinem eigenen Dasein macht oder den er vorzufinden glaubt, entscheidet über die niemals allgemein zu beantwortende Frage, worin denn dessen Sinn oder Bedeutung liege. Im französischen Existentialismus wird die Sache etwas klarer: Auch für Albert Camus hat das Leben an sich keinen Sinn; es ist vielmehr absurd . Wir können (und müssen) ihm einen Sinn erst verleihen. 1 AuSFüHrunG Martin Heidegger (1899–1976) Mensch-Sein 1 Mensch-Sein 1 8 Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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