Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
292 Der Tod, die Sterblichkeit jedes Menschen, ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt jeder Spielart von Existenzphilosophie. Er begrenzt das Dasein radikal, für Camus absolut , und doch ist er nicht einmal denkbar, jedenfalls nicht der eigene Tod. Gewiss, abstrakt kann er gedacht werden, aber nicht plastisch vorgestellt wie irgendein Ereignis im Leben, das wir uns ausdenken können. Ausdenken können wir uns auch Dinge, die wir noch nie erlebt haben, aber doch nur solche, die irgendwie mit dem zu tun haben, was wir irgendwie erleben können. Der Tod, obwohl Teil des Lebens, ist diesem doch wieder so stark entgegengesetzt, dass er unseren Erfahrungshorizont und damit auch unser Vorstellungsvermögen übersteigt. Auch den Tod anderer können wir uns nur in sehr abstrakter Form vorstellen, nämlich in der Weise, dass wir an tote, vielleicht auch an verwesende Körper denken. Auf diese Art können wir auch an unseren eigenen Tod denken, aber dann denken wir nicht an den Tod, sondern an physische Veränderungen und Verfallszustände. Der Tod als Zustand entzieht sich der Vorstellbarkeit, eben weil er kein Zustand ist. Insofern fungiert er als Grenzbegriff des Daseins, dessen Gehalt oder Bedeutung wir aber nicht festmachen können. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Übersetzen Sie den HeideggerText oben in eigene Worte! Vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit dem Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn! Reflektieren Sie Ihre eigenen Vorstellungen zum Tod! Was verstehen Sie darunter oder was stellen Sie sich darunter vor? Diskutieren Sie gemeinsam darüber! 1.2 dasein und Freiheit Spinnt man den Gedanken eines entworfenen Daseins weiter, könnte man einerseits eine deterministische Position vertreten (der Entwurf steht von vorneherein fest), andererseits aber auch eine Position von großer Freiheit (der Entwurf muss überhaupt erst entwickelt oder zumindest ausgearbeitet werden). Jean-Paul Sartre, einer der prominentesten Existentialisten des 20. Jahrhunderts, betonte den engen Zusammen- hang von Dasein und Freiheit. Da die menschliche Existenz aus dem Nichts komme, sei diese Freiheit keine absolute Freiheit, in deren Rahmen das Individuum jederzeit etwas neu erfinden könne. Aber es ist für Sartre eine Freiheit der Wahl. Die Situation , die ein Mensch vorfindet, also der Kontext, in dem er seine Freiheit leben kann, bildet den Rahmen, aber auch den Bezugspunkt dieser Freiheit. Denn auch die Situation ist veränderlich. Die Entscheidungen, die wir treffen, wirken sich auch auf sie aus. Jemand (Frau/Herr A) entschließt sich beispielsweise, einen gerissenen Meniskus von einer/einem bestimmten Chirurgin/Chirurgen (Dr. F) operieren zu lassen. Dr. F ist sehr VerTieFunG Hannah Arendt (1906–1975) 2 3 r GrundlaGen Existenzphilosophie eine philosophische Strömung, die um die menschliche Existenz kreist. Ihre französische Ausprägung wird meist als Existentialismus bezeichnet. Als dessen bekannteste Vertreter gelten Simone de Beauvoir, Albert Camus und JeanPaul Sartre. Die deutschsprachige Existenzphilosophie wird heute hauptsächlich mit Martin Heidegger in Verbindung gebracht – zu Unrecht, denn auch andere haben wichtige Beiträge zur Existenzphilosophie verfasst, so etwa Hannah Arendt, die 1933 vor dem nationalsozialistischen Regime fliehen musste. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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