Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
293 routiniert und hat solche Eingriffe schon tausende Male durchgeführt, über Jahre hinweg in derselben Klinik, in einem von drei Operationssälen. Das wäre sozusagen ein Teil der Situation von Frau/Herrn A. Ein anderer Teil besteht darin, dass der Meniskus überhaupt gerissen ist. Ein weiterer Teil wird durch die finanzielle Lage und durch den Informationsstand der/des Patientin/Patienten bestimmt (Dr. F hat einen hervorragenden Ruf und nimmt nur Privatpatientinnen/-patienten). Nehmen wir nun den Teil der Situation, der aus der Arbeitsweise und dem Arbeitsumfeld von Dr. F. besteht. Allein schon der Umstand, dass eine bestimmte Person zu einer bestimmten Zeit von ihr/ihm operiert wird, beeinflusst diese Situation, denn keine zwei Meniskus- operationen sind exakt und in jedem Detail gleich; schon allein die körperlichen Verfassungen der Patientinnen/Patienten sind unterschiedlich. Nun treten aber bei der Operation von Frau/Herrn A bestimmte Komplikationen auf, die Dr. F bislang bei aller Routine nicht erlebt hat, beispielsweise weil Frau/Herr A an einer seltenen Krankheit leidet, die während der Vorbereitung auf die Operation nicht erkannt wurde, durch die nun aber das Kreislaufsystem stark belastet wird. Mit Mühe und Not bringt Dr. F die Operation erfolgreich zu einem Ende; auch A übersteht letztlich den Eingriff. Weil Dr. F aber eine/ein hervorragende/r Ärztin/Arzt ist und nicht starr an irgendwel- chen vorgegebenen Schemata festhält, verändert sie/er ihre Operationsroutinen, auch im Blick auf die Vorbereitung, in die sie/er sich bislang eher wenig eingebracht hat. Insofern hat die Entscheidung von A, sich von Dr. F operieren zu lassen, auch wieder Auswirkungen auf die Situation gehabt, die sie/er ursprünglich im Krankenhaus vorgefunden hat. Sie/Er bzw. ihre/seine Entscheidung hat die Situation verändert zurückgelassen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie ein eigenes Beispiel für den Zusammenhang zwischen Situation und freier Wahl! [Es] gibt Freiheit nur in Situationen , und es gibt Situationen nur durch die Freiheit. Die menschliche Realität begegnet überall Widerständen und Hindernissen, die sie nicht geschaffen hat; aber diese Widerstände und Hindernisse haben Sinn für die freie Wahl und durch die freie Wahl, die die menschliche Realität ist. […] Was wir Faktizität der Freiheit genannt haben, ist das Gegebene, das sie zu sein hat , und das sie mit ihrem Entwurf erhellt. Dieses Gegebene manifestiert sich in mehreren Arten, wenn auch in der absoluten Einheit einer gleichen Erhellung. Es ist mein Platz , mein Körper , meine Vergangenheit , meine Position , insofern sie durch die Identifikationen der anderen bereits bestimmt ist, schließlich meine grundlegende Beziehung zu Anderen . JeanPaul Sartre: Das Sein und das Nichts (1943; dt. 1991), S. 845 f. Freiheit und ihre Rahmenbedingungen stehen in wechselseitigen Abhängigkeitsver- hältnissen. Sie sind nicht statisch zu denken, sondern verändern sich gegenseitig und sind damit stets dynamisch. Auch das, was uns vorgegeben zu sein scheint, ist schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern irgendwie entstanden. Es kann also durchaus auch wieder verändert werden, selbst wenn derlei Veränderungen nur selten leicht zu bewirken sind. Albert Camus (1913–1960) 1 AuSFüHrunG Jean-Paul Sartre (1905–1980) Mensch-Sein 1 Mensch-Sein 1 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=