Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

304 drei großen monotheistischen Religionen ist das ganz anders, zumindest vom Anspruch her. Hier musste und muss ein Bekenntnis abgegeben und immer wieder erneuert werden. Göttliche Ge- und Verbote haben das ganze Leben der Gläubigen im Blick. Mehr oder minder zahlreiche religiöse Verpflichtungen strukturieren den Tag (Judentum, Islam) oder zumindest Woche, Monat und Jahr (Christentum). Der eine Gott äußert sich den Menschen gegenüber in Form von Offenbarungen , die vor allem über Propheten verkündet werden, passiv hinzunehmen und nicht zu hinterfragen sind. Obwohl dieser Gott mehr vergeistigt und weniger anthropomorph gedacht ist als die vielen Göttinnen und Götter der Antike, wird er als Person vorgestellt (persona- ler Gott) , als ein individuelles Wesen, das die Welt geschaffen hat, ihr aber fern (transzendent) ist. Natürlich sind alle diese drei monotheistischen Religionen keineswegs in sich geschlossen und völlig einheitlich. Es gibt viele Spielarten und Strömungen, aber die genannten Elemente finden sich in so gut wie allen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Ordnen Sie den göttlichen Wesen der drei monotheistischen Religionen typische Eigenschaften zu! Stellen Sie Ihre Ergebnisse in einem Schaubild dar! […] gehört das Konzept Offenbarung unverkennbar zur Welt des homo hierar- chicus . Es setzt das Feudalverhältnis zwischen Herr und Vasall in Analogie zur Erkenntnisbeziehung zwischen Objekt und Subjekt, bei klarem Akzent auf dem Primat des Herrn und des Objekts. Der Empfang einer Offenbarung kommt die- semModell gemäß dem Extremwert vasallischer Passivität gleich. Er markiert den Fall, in dem Hören und Gehorchen koinzidieren. Peter Sloterdijk: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen (2007), S. 32. Der Philosoph Peter Sloterdijk versucht hier, das Konzept des spezifisch monotheisti- schen Offenbarungskonzepts in sehr pointierter Form begreiflich zu machen. Denken Sie an die Überlegungen zu den schwierigen Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt einer Erkenntnis im vorangegangenen Kapitel. Das Konzept der religiösen Offenbarung, das Sloterdijk hier skizziert, ist demgegenüber sehr eingleisig gedacht und von geringem Komplexitätsgrad. Es geht davon aus, dass einem (menschlichen) Wesen göttliche Botschaften übermittelt werden, die der/die Empfänger/in passiv aufnimmt wie einen Befehl und anschließend ausführt. Der Gedanke von Verständi- gungsproblemen ist diesem Offenbarungskonzept ebenso fremd wie die Möglichkeit einer eigenwilligen Verweigerung durch den/die Empfänger/in. Der Vorwurf der Asebie konnte, wie wir gesehen haben, in der griechischen Antike schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen haben. Allerdings unterscheidet sich dieser Vorwurf von ähnlichen Vorwürfen im Kontext monotheistischer Systeme. Die Asebie -Tatbestände waren meist sehr unscharf formuliert, sie hatten im Grunde auch keinen erkennbaren theologischen Gehalt. Sie bildeten ein rechtliches Mittel zur Beseitigung politisch missliebiger Mitbürger, denen man nichts Konkretes vorwerfen 1 AuSFüHrunG Peter Sloterdijk (geb. 1947) úú Kapitel 7.2 VerTieFunG Nur zu Prüfzw cken – Eigentum des Verlags öbv

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