Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
306 Verweigerung des Bekenntnisses, Abfall vom Glauben oder Nichteinhaltung religiöser Gebote wurden und werden vor allem im Christentum und im Islam, je nach den politischen und sonstigen Möglichkeiten, mehr oder minder streng bestraft. Dass Gottes Nicht-Sein gedacht werden konnte, durfte im Einzelfall auch im westeuro- päischen Mittelalter geschrieben werden. Damals wachte die römische Kirche über Veröffentlichung und Verbreitung von Schriften und konnte dies auch tun – vor Erfindung des Buchdrucks war dies rein technisch zu bewältigen. Zu sagen, dass man nicht an Gott glaubte , hätte die Betreffenden in Lebensgefahr gebracht. Hier ist im Übrigen auch ein zentraler Unterschied zwischen Religion und Philosophie angespro- chen: In fast jeder Religion geht es um das Glauben im Sinne von starke und unver- rückbare Überzeugungen haben , während es in der Philosophie letztlich immer um das Denken geht. Überzeugungen dieser Art kann man teilen oder nicht, man kann sich für oder gegen sie entscheiden , einer argumentativen Abwägung und Diskussion sind sie letztlich nicht zugänglich. Deshalb wurde auch in früheren Zeiten von Philosophen immer wieder die Position vertreten, dass sie über Gottheiten und transzendente Welten nichts wissen und deshalb auch keine Aussagen darüber treffen können. Eine solche Haltung nennt man Agnostizismus . Doch selbst wer weiß, dass er zu einem bestimm- ten Thema nichts wissen kann, darf sich auf die Spekulation des Glaubens oder eben Nicht-Glaubens einlassen. Als Philosoph/in sollte ihm/ihr allerdings klar sein, dass er/ sie sich auf das glatte Eis der spekulativen Entscheidungen begibt. So gab und gibt es gläubige Philosophinnen/Philosophen und solche, die nicht an Gott oder Götter glauben (Atheistinnen/Atheisten). Seit dem 18. Jahrhundert durfte man Letzteres zumindest in Teilen Europas auch sagen, ohne gleich um sein Leben fürchten zu müssen. Auch hier gibt es freilich Varianten. Zu sagen „Ich glaube, dass es Gott nicht gibt“ ist etwas anderes als der Satz „Ich glaube nicht, dass es Gott gibt“. Die erste Variante lässt sich stärker auf die Spekulation ein als die zweite und ähnelt von der Struktur her einem monotheistischen Bekenntnis mit umgekehrten Vorzeichen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Erklären Sie die Unterschiede zwischen Atheismus und Agnostizismus und fassen Sie diese kurz zusammen! Aller Glaube ist nun ein subjektiv zureichendes, objektiv aber mit Bewußtsein unzureichendes Fürwahrhalten; also wird er demWissen entgegengesetzt. Andrer- seits, wenn aus objektiven, ob zwar mit Bewußtsein unzureichenden, Gründen etwas für wahr gehalten, mithin bloß gemeinet wird: so kann dieses Meinen durch allmähliche Ergänzung in derselben Art von Gründen endlich ein Wissen werden. Immanuel Kant: Was heißt: Sich im Denken orientieren?, A 319 f. Kants Differenzierung zwischen Wissen und Glauben stellt auf verallgemeinerbare Gründe ab. Rein subjektives Überzeugt-Sein bewegt sich im Bereich des Glaubens. Dabei muss es sich nicht um religiösen Glauben allgemein oder um eine besondere Form religiösen Glaubens handeln. Es geht dabei um jegliche Form einer Überzeu- gung, von denen wir alle sehr viele haben, weil wir im Grunde recht wenig wissen. Agnostizismus von gr. agnosía , „Unkennt nis“ 1 AuSFüHrunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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