Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

342 Popper weist hier darauf hin, wie problematisch und gefährlich es ist, Menschen auf schematische Erklärungsmodelle reduzieren zu wollen. Irgendetwas bleibt immer übrig, das nicht abschließend erklärt werden kann. Nicht einmal vollständiger Zugriff darauf, was ein Mensch letzten Endes ist, erscheint möglich, geschweige denn einer auf den Menschen als solchen. Dennoch beschäftigen sich Überlegungen zur philosophischen Anthropologie seit der Frühen Neuzeit mit dem Wesen des Menschen. Dabei ist – wenig überraschend – eine relativ breite Streuung von Auffassungen darüber entstanden, worin dieses liegen soll. Am ehesten haben vorsichtige Annäherungen zu Erkenntnisgewinn beigetragen, wie etwa jene Kants, dass der Mensch ein Wesen sei, das seine Defizite (kein Fell, lange Hilflosigkeit nach der Geburt) mit Hilfe seiner Vernunft ausgleichen könne. Der Philosoph Odo Marquard spricht deshalb auch vom Homo Compensator , also dem Menschen, der ständig etwas kompensieren, also auszugleichen, sucht, was ihm fehlt. Aus der Systemtheorie und konstruktivistischen Ansätzen haben Vorstellungen von Menschen als autopoietischen, also sich selbst erhaltenden, Systemen auch in die philosophische Anthropologie Einzug gehalten. Große Bedeutung erlangt dabei immer wieder der Versuch, das spezifisch Menschliche herauszuarbeiten, auch wenn man heute generell vorsichtig bei abschließenden und allzu schablonenhaften Zuschreibungen geworden ist. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Lesen Sie die zitierten Überlegungen Poppers! Wie schätzen Sie die Einzigartigkeit des Individuums ein? Diskutieren Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn! Geben Sie die Vorstellung vom Homo Compensator mit eigenen Worten wieder und geben Sie ein Beispiel für diesen Ansatz! 1.3 Menschen-Bildner: Erziehung Was Menschen im Einzelnen sind, dazu werden sie oft auch gemacht. So vielfältig die Faktoren sind, die Menschen zu dem machen, was sie sind (Neigungen, Anlagen, Umweltfaktoren aller Art), Erziehung spielt keine geringe Rolle. Es macht einen gravierenden Unterschied, ob Menschen zu freien und selbstbewussten Individuen erzogen werden oder zu unterwürfigen Befehlsempfängerinnen/-empfängern. In beiden Fällen und in dem ganzen Universum an Möglichkeiten, das dazwischen liegt, werden Vorstellungen davon umgesetzt, wie Menschen sein sollen, wie sie zu sein haben. Diese Vorstellungen wiederum gehen von letztlich unbewiesenen und unbe- weisbaren Annahmen aus. Je enger diese gefasst sind, desto problematischer wird der Versuch, Menschen auf sie hin zu erziehen. Sie haben in diesem Buch bereits einiges über Möglichkeiten und Grenzen von Erziehung gelesen. Hier sei nur an jene Tradition der Erziehung erinnert, die gemeinhin als Schwarze Pädagogik bezeichnet wird, und die im Grunde auf nichts anderes hinauslief als darauf, den Willen von Menschen mit Gewalt zu brechen und sie regelrecht abzurichten. Die Ziele der Dressurakte konnten unterschiedlich sein, meist waren sie auf die Formung devoter Untertanen ausgerich- VErTiEfunG Anthropologie Lehre vom Menschen, von gr. ánthropos , „Mensch“, und lógos , „Sinn, Lehre, Wissenschaft“ úú Kapitel 2 und 4 autopoietisch sich selbst erschaffend, sich selbst erhaltend, von gr. autós , „ selbst “, und poieín , „schaffen, herstellen“ 2 t 3 GrundlaGEn úú Kapitel 4.5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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