Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

343 tet. Derlei Versuche können und konnten allerdings auch in ihr Gegenteil umschlagen. Ein berühmtes Beispiel war der Versuch, den Prinzen und späteren Herzog Ferdinand von Parma mittels drakonischer pädagogischer Maßnahmen zu einem aufgeklärten, vernünftigen Monarchen zu erziehen. Der geprügelte Prinz entwickelte sich zu einem religiösen Fanatiker. Allerdings läuft jede Form der Erziehung Gefahr, die Objekte ihrer Bemühungen einzuengen oder aber zu massivem Widerstand zu veranlassen. Vielleicht wäre dann gar keine Erziehung die beste Erziehung? Auch das ist schwierig bis unmöglich, weil Kinder und junge Menschen ja durchaus das Bedürfnis nach einer gewissen Form von Unterstützung und Anleitung haben. Und alles, was wir tun, ist durch die Annahmen und Voraussetzungen geprägt, die wir haben oder machen. Es gibt keinen vorausset- zungsfreien Umgang mit irgendeiner Sache oder irgendeinem Thema. Doch wo liegen die Grenzen zur Unterdrückung? Vermutlich sind sie fließend. Erziehung ist insofern eine heikle Angelegenheit, eine ständige Gratwanderung zwischen dem Bemühen, Wege, Grenzen und Möglichkeiten aufzuzeigen, und dem vielleicht sogar unbewussten Versuch, anderen die eigenen Präferenzen aufzunötigen. Je jünger die Kinder und je größer deren Vertrauen zu einer älteren Bezugsperson, desto mehr wirkt vermutlich, was gar nicht gesagt werden kann oder muss, das Bild , das die Jüngeren von den Älteren entwickeln und das ihnen dann zum Vor-Bild , zum Verhaltensschema, wird. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Haben Sie Vorbilder? Wenn ja, wen und warum? Falls nein: Empfinden Sie es als Mangel? Verfassen Sie einen Aufsatz dazu! Wird das Kind, von aufmerksamen Männern erzogen und darin unterwiesen, seine Intelligenz und seine Moral zu entfalten, Condillac und d’Holbach in ihrer Mei- nung Recht geben, dass der menschliche Geist bei seiner Geburt nichts als eine „Tabula rasa“ ist? Wird es die kühne These von Helvétius bestätigen, der zufolge die Menschen von Natur aus gleich und darum allesamt befähigt sind, Wahrheiten und Tugenden zu entdecken? Mit einem Wort, wird es der launigen Idee von Leibniz ein Fundament geben, der gerne sagte, dass Erziehung alles vermag, selbst Bären zum Tanzen zu bringen? In dem pädagogischen Laboratorium, zu dem Parma in der Mitte des 18. Jahrhunderts wird, trägt der kleine Ferdinand auf seinen schwa- chen Schultern die Hoffnungen der neuen Philosophie und all jener, die an den Fortschritt glauben. Aber wird der Bär tanzen? Und wenn es ihm gelingt, wird er die Tempi einhalten, die ihm seine Lehrmeister vorgeben? Élisabeth Badinter: Der Infant von Parma oder Die Ohnmacht der Erziehung (2010), S. 11 f. Ferdinand von Parma hat nicht getanzt, zumindest nicht so, wie es sich seine Erzieher, allesamt überzeugte Vertreter einer aufgeklärten Pädagogik, es sich vorgestellt haben. Er wurde zum Fürsten der Frömmler , nicht zu einem Herrscher, der im Sinn des aufgeklärten Absolutismus regiert hätte. 1 r AuSfüHrunG Aufgeklärter Absolutismus Bezeichnung für eine monarchische Form der Herrschaft, die Elemente des Absolutismus mit aufklärerischen Ideen verband; der souveräne Herrscher sollte uneingeschränkt und aus uneingeschränkter Machtvollkommenheit regieren, allerdings zum Wohl des Volkes. Mensch-Sein 2 Mensch-Sein 2 9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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