Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

346 werden kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Intersexualität . Auch gibt es Menschen, die mit dem biologischen Geschlecht, das in ihrer Geburtsurkunde steht, nicht zufrieden sind und entweder das andere oder gar kein bestimmtes Geschlecht haben wollen. In diesem Fall wird von Transsexualität oder Transgender gesprochen. Je nach rechtlichem und kulturellem Umfeld besteht die Möglichkeit einer Geschlechtsumwandlung. Man mag nun einwenden, dass die angesprochenen Fragen doch nur einen kleinen, vielleicht sogar sehr kleinen Teil der Menschheit betreffen. Doch erstens weiß man gar nicht, ob diese Auffassung zutrifft, und zweitens handelt es sich um eine sehr grundlegende Frage des Mensch-Seins, die eines fraglich erscheinen lässt: die Idee von der natürlichen Zugehörigkeit jedes Menschen zu einem biologischen und in Abhängigkeit davon zu einem sozialen Geschlecht (gender) , wobei nur zwei Varianten möglich seien. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Erklären Sie den begrifflichen Unterschied zwischen sex und gender ! Lesen Sie dazu nochmals in Kapitel 4.2 nach! Erscheint Ihnen die Vorstellung, dass Menschen entweder Frauen oder Männer, sonst aber keinesfalls etwas sein können, als problematisch oder unproblematisch? Notieren Sie Ihre Überlegungen und diskutieren Sie gemeinsam darüber! Das Kriterium, nach dem wir beurteilen, ob eine Person ein Geschlechtswesen ist – womit ein kohärentes Geschlecht dem Mensch-Sein bereits vorausgesetzt ist – bestimmt nicht nur (zu Recht oder zu Unrecht) die Erkennbarkeit des Menschli- chen. Es beeinflusst auch, wie wir uns selbst wahrnehmen oder nicht – auf der Ebene des Gefühls, des Begehrens oder des Körpers […]. Judith Butler: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen (2011), S. 98 f. Bevor wir uns als Menschen wahrnehmen, nehmen wir uns, so Butler, bereits als geschlechtliche Wesen wahr. Insofern werden wir von unserer sozialen Umwelt sehr grundlegend auf eine Konzeption des Mensch-Seins festgelegt, die nicht allein biologische, sondern auch weitreichende psychologische Konsequenzen hat, die in den betroffenen Konflikte auslösen können. Butler vertritt insofern die These, dass nicht nur Geschlecht im soziokulturellen Sinn (gender) , sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ein soziales und kulturelles Konstrukt ist. Die hier angerissene Diskussion mag auf den ersten Blick exzentrisch erscheinen, ist es aber nicht. Es ist nämlich gar nicht so leicht, das biologische Geschlecht festzustel- len. Wie jeder andere ist auch dieser Begriff definitionsabhängig. Früher einmal war man der Ansicht, die Feststellung sei einfach, man müsse sich nur die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale ansehen. Diese noch immer populäre Auffassung wird in medizinischen Diskussionen nicht mehr vertreten, sie ist bei Lichte besehen kaum aussagekräftig. Die heute in der Medizin anerkannten Kriterien kreisen um O  Literaturempfehlung: Jeffrey Eugenides: Middlesex (2003). 1 2 r AuSfüHrunG Judith Butler (geb. 1956) VErTiEfunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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