Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
352 Athen in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts […] Bürger in vollem Sinn ist nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung, 40 000 von 300 000 etwa, nämlich alle freien und erwachsenen Männer, außer den Fremden (Metöken). Circa 15 000 Sklaven leben in Attika und 10 000 Fremde. Bürger zu sein bedeutet in der Umge- bung einer solchen Menge von Menschen, die es nicht sind, schon allerhand, Anse- hen jedenfalls, Stolz und Herrschaftsanspruch. Bürger zu sein ist aber für den Athener nicht eine Auszeichnung, die ihm – was er auch sonst sei – nur anhängt, die ihm allenfalls den Genuss besonderer Rechte gewährte, sondern eine Aufgabe, ein Beruf, ein Lebensinhalt. Gernot Böhme: Der Typ Sokrates (2. Aufl. 1998), S. 37. Als Polis bezeichnet man die Gemeinwesen, die auf den griechischen Inseln und dem griechischen Festland im 1. Jahrtausend v. Chr. entstanden. Sie wurden gebildet von einer Burg und einer Stadt (gr. pólis , Plural: póleis ) als Mittelpunkt und einem mehr oder weniger großen Umland. In der politischen Vorstellungswelt vieler Griechen war die Polis mehr als ein Ort: Sie war die Gesamtheit der (Voll-)Bürger. Wir müssen an dieser Stelle bei der maskulinen Form bleiben, denn Bürger (gr. polítes ) konnten ausschließlich freie Männer sein. Oft mussten ihre Familien auch schon länger in der Polis gelebt haben. Diese Bürger versammelten sich in den demokratischen Poleis , beispielsweise in Athen ab etwa 500 v. Chr., auf dem Marktplatz, der Agora , und beratschlagten dort über politische Entscheidungen aller Art. Das Wort pólis wird häufig mit Staat übersetzt, was missverständlich ist; denn der neuzeitliche oder moderne Staat ist von seiner gesamten Organisation und Struktur her völlig anders aufgebaut, als es eben die antike Polis war. Wir können aber festhal- ten, dass der Begriff Staat im Zusammenhang mit den Ausführungen bei Platon und Aristoteles grundsätzlich für politische Gemeinwesen verwendet werden kann. Denn es geht um Überlegungen zum guten Leben in politischen Gemeinwesen allgemein, nicht darum, ein ganz bestimmtes Gemeinwesen zu beschreiben. Aber kein Zweifel: Sowohl Platon als auch Aristoteles hatten ein bestimmtes Gemeinwesen vor Augen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Nennen Sie die Voraussetzungen, die erfüllt sein mussten, damit jemand in den griechischen Stadtstaaten wie Athen als Bürger galt! Welche Unterschiede stellen Sie zwischen der Bedeutung, im Jahr 2015 Bürger/in der Republik Österreich und um 400 v. Chr. Vollbürger der Polis Athen zu sein, fest? Notieren Sie Ihre Überlegungen und begründen Sie diese! 3.2 Gesellschaft und Politik Wenn Menschen politische Wesen sind, müssten sie zunächst einmal gesellige Wesen sein. Für gewöhnlich stellen wir uns politische Gemeinschaften als große Gruppen vergesellschafteter menschlicher Wesen vor. Margaret Thatcher, die als Premierminis- AuSfüHrunG VErTiEfunG 2 3 t GrundlaGEn Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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