Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
358 Staates in das Leben des Individuums. Die Bedeutung des Lebens für diese Pro- bleme politischer Macht nimmt zu; es resultiert daraus eine Art Vertierung des Menschen mittels hochentwickelter politischer Techniken. Michel Foucault: Stanford Lectures (1979); zit. nach Hubert L. Dreyfus/Paul Rabinow: Michel Foucault (2. Aufl. 1994), S. 168. Menschen seien im modernen Staat, so Foucault, im Laufe der Zeit auf ihre Funktion als lebende (biologische) Wesen reduziert worden. Die damit verbundenen Funktio- nen werden wie in einem Unternehmen genutzt und eingesetzt – ohne die Betrof- fenen zu fragen. Der Rechtsphilosoph Giorgio Agamben hat Foucaults Konzept der Bio-Macht über die Neuzeit hinaus erweitert. Er sieht diese bereits im römischen Rechtsdenken angelegt. Als prominentes Beispiel zieht er die Figur des homo sacer heran, eine Gestalt des römischen Rechts, die auf ihr nacktes Leben reduziert worden sei. Der homo sacer war ein Ausgestoßener aus dem Regelwerk des Rechts; er durfte straflos getötet, aller- dings weder hingerichtet noch geopfert werden. Heute würden Menschen insbeson- dere in Gefangenenlagern wie in Guantánamo auf das nackte Leben reduziert, sie hätten dort keine Rechte und seien vollständig der Willkür ihrer Wärter/innen ausge- setzt. In der Regel handeln diese Wärter/innen nicht aus eigenem Antrieb, sondern führen Befehle staatlicher Stellen aus. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Lesen Sie die zitierte Textpassage und überlegen Sie, was Foucault mit Vertierung meinen könnte! Fassen Sie Ihre Gedanken stichwortartig zusammen! Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie Agambens These, dass es sich bei Gefangenen lagern wie jenem in GuantánamoBay auf Kuba um rechtsfreie Räume handle! Recherchieren Sie dazu auch im Internet und begründen Sie Ihre Positionen! 3.5 Selbstbestimmung Wer seine Welt mit Hilfe politischer Mittel gestaltet, kann, wenn er/sie sich zu sehr unterdrückt fühlt, auch versuchen, diesen Zustand mit anderen Mitteln zu verändern als denjenigen, die ihm/ihr das politische System zur Verfügung stellt, mit dem er/sie in Konflikt steht. Das haben Menschen immer wieder getan. Nun kann man behaup- ten, so weit, dass ein politisches System radikal in Frage gestellt und sogar umge- stürzt wird, komme es nur bei extremer Unterdrückung, wenn Menschen beispiels- weise so hohe Abgaben an einen Herrscher oder Staat entrichten müssen, dass ihnen selbst gar keine Mittel mehr zum Leben bleiben. Wer historische Revolutionen näher betrachtet, wird zwar zugeben müssen, dass derlei immer wieder eine Rolle gespielt hat. Reine Hungerrevolten wurden aber in aller Regel rasch niedergeschlagen, weil die Revoltierenden meist sehr spontan, schlecht organisiert und mit ungeeigneter Ausrüstung zu Werke gingen. Viele Revolutionen, die nachhaltige Veränderungen nach sich zogen, wurden von Personen durchgeführt, die eine Neugestaltung der politi- VErTiEfunG Giorgio Agamben (geb. 1942) 2 3 t GrundlaGEn Motto und Symbole der Französischen Revolution 1789 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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