Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
362 4 Sprechende und denkende Wesen Menschen unterscheiden sich von anderen Lebewesen durch ihre Fähigkeit zu denken und zu sprechen. Zumindest war das über Jahrtausende hinweg eine Überzeugung, der in Philosophie und Wissenschaft so gut wie nicht widersprochen wurde. Heute sind wir uns auch in diesen Punkten längst alles andere als sicher. 4.1 Mensch versus Natur Was den Menschen auszeichne, so Aristoteles, sei, dass er ein sprechendes Wesen sei. Aristoteles spricht von der Fähigkeit zum Gebrauch des lógos . Man könnte auch sagen, Menschen verwenden Symbole oder Zeichen und weisen ihnen Bedeutung zu. Diese Vorstellung hat sich im europäischen Denken sehr lange gehalten, ob zu Recht oder zu Unrecht. Für René Descartes gab es zwei Substanzen in der Welt; er nannte sie res cogitans („denkende Sache“) und res extensa („ausgedehnte Sache"). Die denkende Sache war der Mensch , der Rest war res extensa , also nur durch räumliche Ausdehnung, körperliches Sein, bestimmt. Denken war für Descartes, wie wir gesehen haben, durch die Fähigkeit gekennzeichnet, klare und bestimmte Begriffe zu ent- wickeln, aber auch ein Bewusstsein seiner selbst hervorzubringen. Ohne Zweifel verfügen Menschen über Sprache, und zwar durchaus in dem Sinn, den Aristoteles mit seiner Überlegung verbindet. Auch sind sie in der Lage, zu denken und ein Bewusstsein ihrer selbst zu entwickeln. Doch ging der Versuch, das spezifisch Menschliche über Denken und Sprache zu bestimmen, in der philosophischen und wissenschaftlichen Praxis seit Aristoteles mit einem Ausschließlichkeitsanspruch einher, der gar nicht zwingend ist. Nur Menschen , so wurde behauptet, könnten denken und seien zur Kommunikation mittels Zeichen fähig. Tiere seien zu beidem nicht in der Lage. Was Menschen hervorbrächten, sei Kultur , im scharfen Kontrast zur Natur . Insofern richteten die genannten Kriterien eine strikte Grenzlinie auf zwischen dem Menschen und der Natur (oder doch immerhin dem Rest der Natur). Die Natur, so behaupteten manche, sei durch Naturgesetze determiniert, das menschliche Leben hingegen nur in Teilbereichen. Zum Teil wird unter Berufung darauf noch heute eine klare und unüberschreitbare Linie zwischen Menschen und Tieren behauptet. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie über die strikte Trennung zwischen Mensch und Tier! Ich meine [...], dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeu- tungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Unter- suchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung (4. Aufl. 1995), S. 9. GrundlaGEn úú Kapitel 6 und 7 úú Kapitel 2 und 4 1 r AuSfüHrunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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