Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
368 und Weise , die Form , Dinge zu sehen und miteinander in Beziehung zu setzen, Eindrücke auszuwählen und zu verknüpfen und wieder andere gar nicht zu registrie- ren. Was immer wir uns unter einer Person nun im Detail vorstellen oder an dem Konzept aussetzen mögen, schon unter handlungstheoretischen Gesichtspunkten scheinen wir es zu brauchen. Ansonsten hätten wir weder ein kohärentes, also zusammenhän- gendes Bild von uns selbst noch könnten wir für irgendetwas Verantwortung über- nehmen oder einfordern. Der Mensch, der gestern etwas versprochen hat, wäre ja längst nicht mehr da. Der Umstand, dass jemand so heißt und aussieht wie er, würde kaum ausreichen, um die notwendige Zurechnung herzustellen. Gewiss, was die spezifische Form unserer Weltwahrnehmung betrifft, können wir auf das Unbewusste, das Über-Ich oder überhaupt die Gene verweisen. Aber erklärt uns das unser spezifi- sches In-der-Welt-Sein? Finden wir dieses tatsächlich früh im Leben vor und spulen dann nur noch einen Film ab, zu dem das Drehbuch unwiderruflich feststeht? Oder erfinden wir uns nicht vielmehr selbst mit Hilfe der Möglichkeiten, die wir gerade haben, weil es eben keinen anderen Sinn und keine andere Bedeutung gibt als jene, die wir selbst hervorrufen, und weil wir ohne Sinn und ohne Bedeutung nicht leben können? Wie wir uns erfinden und was wir dabei zustande bringen, das wäre viel- leicht unsere Persönlichkeit zu nennen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Könnten Sie definieren, worin genau Ihre Persönlichkeit besteht? Unternehmen Sie den Versuch und notieren Sie Ihre Überlegungen in Form einer Mindmap! Bilden Sie Gruppen und befragen Sie ältere Menschen aus Ihrem Verwandten oder Bekanntenkreis nach der Wandlung ihrer Persönlichkeit! Stellen Sie die Ergebnisse der Klasse vor! Gewöhnlich glaubt man, dass sich die Existenz eines transzendentalen Ich durch das Bedürfnis nach Einheit und Individualität des Bewusstseins rechtfertigt. Weil alle meine Wahrnehmungen und Gedanken sich auf diesen permanenten Brenn- punkt beziehen, ist mein Bewusstsein vereinigt; weil ich sagen kann: mein Be wusstsein, und weil auch Pierre und Paul von ihrem Bewusstsein sprechen können, unterscheiden sich diese Bewusstseine voneinander. Das Ich ist Erzeuger von Interiorität. Doch es ist gewiss, dass die Phänomenologie es nicht nötig hat, auf dieses vereinigende und individualisierende Ich zu rekurrieren. […] Es ist das Bewusstsein, das sich selbst vereinigt, und zwar konkret durch ein Spiel „transver- saler“ Intentionalitäten, die konkrete und reale Retentionen der vergangenen Bewusstseine sind. So verweist das Bewusstsein ständig auf sich selbst: wer sagt: „ein Bewusstsein“, der sagt das ganze Bewusstsein, und diese merkwürdige Eigen- schaft gehört zum Bewusstsein selbst, was auch sonst seine Beziehungen mit dem Ich sein mögen. JeanPaul Sartre: Die Transzendenz des Ego (1936; dt. 1994), S. 44 f. Sartre setzt sich hier mit dem schwierigen Verhältnis von Ich und Bewusstsein auseinander, und zwar unter konkreter Bezugnahme auf die Phänomenologie Edmund 1 r 2 AuSfüHrunG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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