Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
387 [D]as Recht […] ist eine normative Ordnung menschlichen Verhaltens, und das heißt, ein System von menschliches Verhalten regelnden Normen. Mit „Norm“ bezeichnet man: daß etwas sein oder geschehen, insbesondere daß sich ein Mensch in bestimmter Weise verhalten soll . […] Normen […] sind […] Willensakte. Wenn ein Mensch durch irgendeinen Akt den Willen äußert, daß ein anderer Mensch sich in einer bestimmten Weise verhalte, wenn er dieses Verhalten gebietet oder erlaubt oder ermächtigt, kann der Sinn seines Aktes nicht mit der Aussage beschrieben werden, daß der andere sich so verhalten wird, sondern nur mit der Aussage, daß der andere sich so verhalten soll. Hans Kelsen: Reine Rechtslehre (2. Aufl. 1960), S. 4. Ein wichtiger Gedanke in Kelsens Rechtstheorie besteht in der Unterscheidung von Sein und Sollen. Diese Unterscheidung geht auf Kant zurück und besagt, dass ein grundlegender Unterschied zwischen dem besteht, was ist, und dem, was sein soll. Rechtliche, aber auch moralische Normen beschreiben niemals einen Ist-Zustand, sie behaupten immer, dass etwas so oder so sein soll oder eben nicht sein soll. Auf den ersten Blick scheint die Verletzung von Rechtsnormen ernstere Folgen zu haben als jene von moralischen oder sittlichen Normen. Im einen Fall gerät der/die Normverletzer/in in einen Konflikt mit der bewaffneten Staatsmacht, im anderen wird sie/er „nur“ schief angesehen und darf vielleicht da oder dort nicht mitmachen. Doch wir haben bereits gesehen, dass auch die Verletzung moralischer oder sittlicher Normen gewaltförmiges Handeln anderer nach sich ziehen kann. Außerdem ist es durchaus möglich, dass Formen von sozialer Missachtung oder Ausgrenzung mehr als nur unangenehme, vielmehr existenzbedrohliche Folgen nach sich ziehen. So ist es möglich, dass jemand, die/der sozial geächtet wird, auch im weiteren Umkreis ihres/seines Wohnortes keine Arbeit findet, in Geschäften oder Gasthäusern nicht bedient wird. Behauptet ein staatliches Organ, jemand hätte eine Rechtsnorm verletzt, und ver- hängt eine Strafe, hat die betreffende Person in einem Rechtsstaat die Möglichkeit, sich dagegen in einem genau geregelten Verfahren zu wehren, etwa vor Gericht. Bei sozialen Sanktionen wegen angeblicher oder tatsächlicher Verstöße gegen moralische oder sittliche Normen bestehen hingegen keine vergleichbaren Möglichkeiten. Das kann solche Sanktionen unter Umständen weitaus gefährlicher und folgenreicher für die Betroffenen machen als rechtliche Sanktionen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Stellen Sie einen Vergleich rechtlicher, sittlicher und moralischer Normen an! Beurtei len Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten gemeinsam mit Ihrer/Ihrem Sitznachba rin/Sitznachbarn! Finden Sie in Ihrer Lebenswelt Beispiele für sittliche Normen und nehmen Sie eine Bewertung vor! AuSFüHrung úú Kapitel 10.2.4 VerTieFung 2 t 3 r Ethische Grundpositionen Ethische Grundpositionen 10 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv
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