Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

393 festgefügt und starr ist. Insofern ist auch nicht so leicht angreifbar wie viele schein- bar klare und einfache Gerechtigkeitskonzepte der Art: „Gerecht ist etwas dann, wenn …“ Anhand einer Grundgröße, in diesem Fall des jüdischen Gesetzes, wird „von Fall zu Fall“ abgewogen und versucht, Gerechtigkeit zu üben. Dazu ist vielleicht zu ergänzen, dass das jüdische Gesetz maßgeblich von dem ständigen Bemühen seiner Anhänger/innen lebt, es zu interpretieren, dass es also selbst keinesfalls starr und festgefügt erscheint, zumindest nicht im Verständnis Lyotards. Jacques Derrida hat Gerechtigkeit – ähnlich wie Demokratie – als etwas zu begreifen gesucht, das nicht einfach so zu haben ist, schon gar nicht in Vollendung. Vielmehr handle es sich um Phänomene, die „im Kommen“ begriffen seien, die sich als vielleicht oft sehr vage Vorstellungen darstellen und an deren Verwirklichung stets zu arbeiten sei. Sobald man annähme, Gerechtigkeit sei bereits erreicht, hätte man sie auch schon verfehlt. Vielmehr sei Gerechtigkeit etwas, woran gearbeitet, was abgewogen, eingekreist und angestrebt werden müsse. Zu erreichen sei demzufolge immer nur so etwas wie Gerechtigkeit, aber nie Gerechtigkeit an sich. Ein solcher Zugang erlaubt es vielleicht auch, Gerechtigkeit als das zu fassen und von dem her zu präzisieren, was nicht offenkundig ungerecht ist. Werden beispielsweise Menschen aufgrund ihres (biologischen oder sozialen) Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert, kann dies jedenfalls niemals und nach keinem mit Gründen vertretbaren Modell gerecht sein. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Vergleichen Sie die geschilderten Positionen Lyotards und Derridas! Stellen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest! Finden Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn weitere Beispiele für Unge­ rechtigkeiten! Jean-François Lyotard (1924–1998) VerTieFung 2 3 r Ethische Grundpositionen Ethische Grundpositionen 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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