Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

396 schen Sinne das Gegenmodell eines Willküraktes. Wie schon in Hinblick auf den kategorischen Imperativ gezeigt, geht es auch hier um die Findung von Maximen, die zugleich ein allgemeines Gesetz sein könnten. Autonomie bei Kant ist die Freiheit der Vernunft, in Orientierung an Selbstzwecken zu beschließen, was ihr und diesen Zwecken gemäß ist. Insofern werden auch für die Vorstellung entgrenzter Selbstherrlichkeit, die im allgemeinen Sprachgebrauch oft mit Autonomie verbunden wird, philosophiege- schichtlich nicht viele Vorbilder zu finden sein. Ein moderates philosophisches Konzept von Autonomie, wie es etwa die Philosophin Beate Rössler vertritt, kann beispielsweise dahin gehen, dass Menschen sich aus eigenem Denken und Empfinden heraus für einen bestimmten Lebensentwurf entscheiden und diesen auch umzuset- zen versuchen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Lesen Sie in Kapitel 8 nochmals die Ausführungen zu Bieris Freiheitskonzept und analysieren Sie, was darin genau unter Freiheit verstanden wird! Es ist eben diese Form von Selbstverständnis einer Person […], die erst als Auto- nomie bezeichnet werden kann: also von sich selbst einen Begriff, ein Verständnis zu haben dessen, das so, wie man lebt – in Grenzen, aber doch in wichtigen Hin- sichten – und so, wie man sich verhält – in Grenzen, aber doch in wichtigen Hin- sichten – selbst gewollt, oder doch: selbst akzeptiert ist; und damit also ein Selbst- verständnis, das auch bedeutet, den Meinungen, Erwartungen, Forderungen anderer (einer Familie, einer sozialen Gruppe, einer Gesellschaft), den Umständen des Lebens nicht einfach ausgesetzt zu sein […]. Beate Rössler: Bedingungen und Grenzen von Autonomie, in: Herlinde PauerStuder/Herta NaglDocekal (Hg.): Freiheit, Gleichheit und Autonomie (2003), S. 353. Dieses Konzept von Autonomie zielt auf die Möglichkeit, sich selbst – in Grenzen zwar, wie mehrfach betont wird – zu finden oder zu erfinden und das eigene Leben dementsprechend zu gestalten. Auch dies findet naturgemäß in den Grenzen persön- licher, sozialer und ökonomischer Möglichkeiten statt, aber immerhin nicht als bloßes Produkt der Vorstellungen anderer, von Traditionen oder dem, was angeblich „immer schon“ war. Naturgemäß wird auch ein solcher Entwurf nicht aus dem Nichts kommen, sondern auf etwas zurückgehen, das bereits in irgendeiner Weise in den Erfahrungshorizont der Beteiligten gelangt ist. Aber dies ist doch etwas ganz anderes als die Vorstellung, nur von inneren und äußeren Zwängen getrieben und genötigt zu sein. Genau darum aber geht es bei den Ideen von Willensfreiheit und Autonomie aus philosophischer Sicht: um das alte sokratische Modell der Selbstbefreiung aus den Fesseln von Ignoranz und Fremdbestimmung durch Denkakte, die allerdings nicht zu beliebigen Konsequenzen führen. Der Philosoph und Ideenhistoriker Isaiah Berlin hat diese Überlegung in einem berühmten Aufsatz aus dem Jahr 1969 pointiert zugespitzt. 1 AuSFüHrung VerTieFung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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