Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
122 1 die Bedeutung des unbewussten Tiefenpsychologische Positionen beschäftigen sich mit Vorgängen, die unbewusst ablaufen. Bei allen Unterschieden im Detail gehen sie davon aus, dass die Persönlichkeit eines Menschen vor allem durch Erfahrungen und Entwicklungen in der Kindheit bestimmt wird. Bewusst ist ihm all dies nicht, was es jedoch umso wirkungsmächtiger macht. 1.1 Zur Entstehung der Psychoanalyse Mit dem Begriff Tiefenpsychologie werden heute durchaus unterschiedliche psycholo- gische und psychotherapeutische Strömungen bezeichnet. Ihnen ist gemeinsam, dass sie von der Bedeutung des Unbewussten für den psychischen Apparat des Menschen ausgehen. Damit gehen sie alle in irgendeiner Form auf die psychoanalytische Theoriebildung Sigmund Freuds und des Kreises um ihn zurück. Von seiner Ausbildung her war Freud Arzt (Neurologe) und beschäftigte sich seit den 1880er-Jahren mit der Entstehung von Neurosen. Gemeinsam mit dem Arzt Josef Breuer veröffentlichte Freud 1893 eine Abhandlung über Hysterie. Von da an entwickelte er ein Theoriege- bäude, das er nun selbst als Psychoanalyse bezeichnete. Eine frühe Leitidee dabei war, dass psychische Probleme auf Erlebnisse in der Kindheit zurückgehen, die später zwar vergessen, also nicht bewusst erinnert werden, aber dennoch massive Auswirkungen auf das Seelenleben haben. Dies setzt voraus, dass die Psyche oder der psychische Apparat , von dem Freud sprach, nicht auf das redu- ziert werden kann, was gemeinhin als Bewusstsein bezeichnet wird. Vielmehr müssten noch andere Ebenen, Facetten oder Bereiche vorhanden sein, deren Rolle vielleicht sogar höher zu veranschlagen wäre als jene des bewussten Denkens und Erinnerns. Freud bewegte sich mit seinen Untersuchungen auf ein Gebiet, das zumindest aus Sicht der Medizin und Psychologie seiner Zeit völlig neu war. Die Vorstellung eines Unbewussten, das noch dazu der dominante Teil der menschlichen Psyche sein sollte, stieß auf Unverständnis und zum Teil heftige Ablehnung. Freud selbst war daran gelegen, dass seine Forschungen wissenschaftlichen Standards entsprachen. Was er keinesfalls wollte, war in den Ruf eines Gurus oder Esoterikers zu geraten. Deshalb versammelte er Wissenschafter/innen und andere Intellektuelle (meist Ärzte und Ärztinnen). Seit 1902 trafen sie sich zu Vorträgen und teils sehr heftig geführten Diskussionen regelmäßig in seiner Praxis zur Psychologischen Mittwochsgesellschaft. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Bilden Sie Kleingruppen und erörtern Sie die Frage, warum Freuds Theorie so heftige Gegenreaktionen hervorgerufen haben könnte! Stellen Sie Ihre Ideen in einer Über sicht zusammen! GrundlaGen Neurose von gr. neúron , „Sehne, Nerv“; die Endung ose macht in der Medizin sprache meist krankhafte Zustandsveränderungen kenntlich. Josef Breuer (1842–1925) Sigmund Freud (1856–1939) 1 Nur zu P üfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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