Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
125 Antrieb sei. 1911 verließ er zusammen mit Margarete Hilferding und anderen die Mittwochsgesellschaft und begründete eine eigene tiefenpsychologische Richtung, die Individualpsychologie. Auch Carl Gustav Jung, eine Zeit lang Freuds erklärter Nachfolger, kritisierte Freuds Libido-Begriff heftig. Jung forderte eine deutliche Ausweitung des Libido-Begriffs über den Bereich der Sexualität hinaus. Bestimmte, kulturübergreifende Verhaltensmuster (Archetypen), denen Jung nachspürte, müssten jedenfalls einbezogen werden. Jung begründete die Richtung der Analytischen Psychologie. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Stellen Sie dar, welches Themenfeld die größten Unstimmigkeiten in der Psychologi schen Mittwochsgesellschaft erzeugt hat! Finden Sie heraus, weshalb das betreffende Thema so viel Spannungspotential aufwies! Jedes Kind wächst unter Verhältnissen auf, die es zu einer Doppelrolle zwingen , ohne dass es diesen Sachverhalt mit seinem Bewusstsein erfasst. Wohl aber mit seinem Gefühl. Einerseits klein, schwach, unselbstständig, entwickelt es Wünsche nach Anlehnung, Zärtlichkeit, Hilfe und Unterstützung. Und bald fügt es sich dem Zwange, der den Schwachen zum Gehorsam, zur Unterwerfung verpflichtet, wenn er Trieb-Befriedigungen und die Liebe seiner Pflegepersonen erlangen will. Alle Züge des erwachsenen Menschen von Unterwürfigkeit, Demut, Religiosität, Auto- ritätsglauben […] stammen aus diesem ursprünglichen Gefühl der Schwäche und stellen psychische Zustandsbilder dar, denen offensichtlich bereits geringe Spuren von Aggression anhaften, Versuche, etwas von Liebe und Triebbefriedigung aus der Umwelt für sich zu gewinnen. Alfred Adler: Über den Selbstmord, insbesondere den Schülerselbstmord, in: Alfred Adler: Persönlichkeit und neurotische Entwicklung, hg. v. Almuth BruderBezzel (2007), S. 117. Adler verweist hier auf die Entstehung von Wünschen, Bedürfnissen und Haltungen, die nicht im Menschen angelegt sind, nicht in seiner Biologie und nicht in seinem psychischen Apparat. Sie entstehen aufgrund bestimmter sozialer und kultureller Verhältnisse, prägen sich aber in einer bestimmten Phase der menschlichen Entwick- lung nachhaltig in die Psyche ein. Von 1891 bis zu seiner erzwungenen Flucht im Jahr 1938 wohnte und ordinierte Sigmund Freud in Wien, im 9. Bezirk, im Haus Berggasse Nr. 19. Hier hielt er auch die Psychologische Mittwochsgesellschaft ab, deren meiste Mitglieder ebenfalls aus Wien kamen. Der Schweizer Psychiater Jung war eine der wenigen Ausnahmen. So entstand in Wien das erste Zentrum der Psychoanalyse. Die meisten frühen Psychoanalytiker/innen waren zudem Jüdinnen/Juden oder stammten aus jüdischen Familien. Dies allein schon war für das nationalsozialistische Regime Grund genug, die Psychoanalyse zu verbieten. Die meisten ihrer Vertreter/ innen gingen ins Exil, viele, wie Margarete Hilferding und Sabina Spielrein, wurden ermordet. Sigmund und Anna Freud flohen 1938 nach London, wo bereits andere Carl Gustav Jung (1875–1961) 1 AuSFüHrunG Alfred Adler (1870–1937) VerTieFunG Persönlichkeit und Entwicklung Persönlichkeit und Entwicklung 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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