Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

129 tung beimisst. Es stellt vermutlich ein Problem der psychoanalytischen Theorie dar, dass Freud das bürgerliche Modell der Kleinfamilie als etwas Allgemeinmenschliches betrachtet. Das ist es allerdings nicht. Vielmehr erweist es sich als Phänomen bestimmter historischer und kultureller Verläufe, die auch anders hätten sein können und die auch längst wieder in Veränderung begriffen sind. Jedenfalls nahm Freud an, Kinder würden ganz generell in familiären Konstellationen heranwachsen, die durch ein erwachsenes weibliches (Mutter) und ein männliches Wesen (Vater) bestimmt sind. In diesem triangulären Spannungsfeld kommt es nach Freud zu bestimmten Konflikten, die er mit dem Überbegriff Ödipuskomplex bezeichnet. Der Begriff umschreibt die Gesamtheit aller ambivalenten Wünsche erotischer wie auch feindseliger Art. Diese Wünsche hege das Kind seinen Eltern gegenüber. Dem Elternteil, dessen Geschlecht dem des Kindes entgegengesetzt sei, bringe das Kind sexuelle Wünsche entgegen, für den anderen Elternteil empfinde es Eifersucht und Hass. Dieser zweite Elternteil werde zur Rivalin bzw. zum Rivalen aufgebaut. Ganz konkret wählte Freud die Perspektive eines Kindes mit männlichem Geschlecht. Deshalb zog er auch den Vergleich zu einer Figur der griechischen Mythologie, König Ödipus. Verschärft werde dieser Konflikt durch die Kastrationsdrohung, die massive Ängste auslöse. Sie sollte das (männliche) Kind dazu bringen, sich den kulturellen und moralischen Normen (Inzestverbot) zu unterwerfen. Wird der ödipale Konflikt gelöst, so ist nach Freud das Inzestverbot bestätigt, die Geschlechterrolle des Kindes festge- legt, es steht fest, auf welche Liebesobjekte die Wahl des Heranwachsenden später fallen wird, und das Über-Ich ist gefestigt. Gelingt die Lösung des Konflikts nicht, so hat dies nach Freud neurotische oder psychotische Entwicklungen zur Folge. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Stellen Sie mit eigenen Worten dar, worum es in Freuds Konzept des Ödipuskomplexes geht! Während der Ödipuskomplex des Knaben am Kastrationskomplex zugrunde geht, wird der des Mädchens durch den Kastrationskomplex ermöglicht und eingeleitet. […] Es [gemeint ist das Mädchen] gibt den Wunsch nach dem Penis auf, um den Wunsch nach einem Kinde an die Stelle zu setzen, und nimmt in dieser Absich t den Vater zum Liebesobjekt […]. Die Mutter wird zum Objekt der Eifersucht, aus dem Mädchen ist ein kleines Weib geworden. Sigmund Freud: Einige psychische Probleme des anatomischen Geschlechtsunterschieds (1925), in: Sigmund Freud: Sexualleben (10. Aufl. 2012), S. 264. Hier werden nun einige fundamentale Probleme deutlich, die Freuds Entwicklungsmo- dell innewohnen und die uns später nochmals begegnen werden. Freud vertritt nämlich die Auffassung, dass Mädchen (genau wie Buben) zunächst in der Mutter das erste Liebesobjekt sehen. In der ödipalen Phase bemerken sie allerdings den Geschlechtsunterschied und würden die Klitoris als Mangel gegenüber dem Penis empfinden und eine Haltung entwickeln, die Freud als Penisneid bezeichnet. Sie würden sich bereits kastriert fühlen und die Mutter für das Fehlen des Penis bzw. die Kastration verantwortlich machen. Vor diesem Hintergrund würden sich Mädchen sodann dem Vater zuwenden und auf diese Weise ihr späteres Liebesobjekt wählen. 1 AuSFüHrunG úú Kapitel 4.2.1 Persönlichkeit und Entwicklung Persönlichkeit und Entwicklung 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Ver ags öbv

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