Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

158 1 antriebskräfte Was Menschen zu ihren Wünschen, Zielen und Handlungen antreibt, ist nicht einfach festzuma- chen. Oft sind gegenläufige Bestrebungen im Spiel, und es hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, welche davon sich durchsetzen. Konkrete Situationen und Persönlichkeitsstruktur können dabei genauso wichtig sein wie frühere Erfahrungen, elementare Bedürfnisse oder kulturelle Einflüsse. 1.1 Bedürfnisse Zunächst sind es elementare Bedürfnisse wie jenes nach Nahrungszufuhr und Stoffwechsel sowie Schlaf, die uns antreiben. Im Lauf der Kindheit entwickeln sich zudem sexuelle Bedürfnisse. Auf physiologischer Ebene bewirken Mangelzustände in der Regel das Bedürfnis, sie zu beheben. Im Rahmen neurowissenschaftlicher Forschung wird angenommen, dass körperliche Bedürfnisse im Gehirn Handlungsimpulse auslösen, die zu Verhaltenswei- sen führen. So geht das Gehirn beispielsweise von einer bestimmten Körpertempera- tur aus, die es als Sollwert annimmt. Steigt oder sinkt die Körpertemperatur stark, wird dies über verschiedene Messfühler – in den Wärmerezeptoren der Haut, im Rückenmark, inneren Organen sowie im Hypothalamus – registriert. Der Hypothala- mus löst in der Folge bestimmte physische Reaktionen aus, um die Körpertemperatur zu senken oder zu erhöhen. Auch das Körpergewicht wird vom Gehirn in der Regel auf einen bestimmten Sollwert hin reguliert. Wird die entsprechende Gehirnregion (ebenfalls der Hypothalamus) verletzt, kann dies zu einer Verweigerung der Nah- rungsaufnahme führen. Im Hinblick auf körperliche Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Halten einer bestimmten Temperatur oder sexuelle Aktivität würde es also nahelie- gen, dass Menschen versuchen, etwaige Mängel auszugleichen. Solcher Ausgleich erfolgt, sofern möglich, impulsiv, ohne weiteres Nachdenken. Nicht alles, was Menschen zu bestimmten Handlungen antreibt, lässt sich allerdings mit einfachen physiologischen Modellen erklären. So sind etwa Lustgefühle unter- schiedlicher Art sehr wichtig für die Motivation menschlichen Verhaltens. Sie gründen aber in der Regel nicht auf lebenswichtigen Bedürfnissen; außerdem sind sie häufig subjektiv, von Individuum zu Individuum verschieden. Es kann sich sogar um Bedürf- nisse handeln, die lebenserhaltenden Motiven entgegengesetzt sind oder sogar zu einem Konflikt mit ihnen führen. Insbesondere im Bereich der Nahrungsaufnahme finden sich häufig Beispiele für Verhaltensweisen, die zwar auf Bedürfnissen gründen, aber keineswegs unmittelbaren körperlichen Erfordernissen entsprechen. Phänomene dieser Art setzen in der Regel voraus, dass Hunger kein unmittelbar drängendes Problem ist. Manche Menschen nehmen sehr viel mehr oder sehr viel kalorienreichere Nahrung zu sich, als ihnen gut tut; andere versuchen ihr Körpergewicht immer weiter zu senken, obwohl sie ihr Sollgewicht schon lange unterschritten haben. So äußert sich Anorexia nervosa (auch als Magersucht bezeichnet) dadurch, dass jemand so GrundlaGEn Hypothalamus von gr. hýpo , „unter“, und thálamos , „Kammer, Zimmer“; Abschnitt des Zwischenhirns, der die vegetativen Körperfunk­ tionen steuert anorexie von gr. anorekteín , „keinen Appetit verspüren“; Appetitlosigkeit úú Kapitel 4.4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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