Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
160 Im Fall der Anorexia nervosa ist die eigene Körperwahrnehmung (das Körperschema) nicht intakt. Verantwortlich dafür sind unterschiedliche Faktoren. Genetische Anlagen dürften eine Rolle spielen, wichtiger scheinen aber Familiensituation und kulturelle Einflüsse zu sein. Einen Beitrag zur Entstehung von Essstörungen leisten familiäre Konflikte, insbesondere sexueller Missbrauch, nach psychoanalytischer Auffassung insgesamt problematische Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Ein geringes Selbstwertgefühl kann ebenfalls zur Entstehung von Essstörungen führen. Gesell- schaftliche Normen und Idealbilder tragen offenbar ebenfalls stark zur Störung des Körperschemas bei. In weiten Teilen der sogenannten westlichen Welt wird zudem mehr oder minder großer Druck auf Mädchen und Frauen ausgeübt, möglichst schlank zu sein. Medien und Werbeindustrie setzen unaufhörlich Bilder sehr schlanker bis dünner Frauen als Idealbilder von Schönheit und Weiblichkeit in Szene. In der Tat sind es auch überwiegend Mädchen und Frauen, bei denen Anorexia nervosa diagnosti- ziert wird. Gleiches gilt für Bulimia nervosa (auch Ess-Brechsucht genannte). Hier erfolgt die Gewichtsreduktion allerdings nicht durch zu geringe Nahrungsaufnahme, sondern durch Zufuhr sehr großer Mengen an Nahrungsmitteln und deren möglichst rasche und unverdaute Ausscheidung durch Auslösen eines Brechreizes. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie eine allgemeine Definition des Begriffs Bedürfnis ! Beziehen Sie dabei auch Beispiele aus Ihrem Alltag ein! Finden Sie andere Beispiele dafür, dass elementare physische Bedürfnisse wie Nahrungszufuhr keineswegs immer den Ausschlag dafür geben, wie wir uns verhalten! Bilden Sie Gruppen und nehmen Sie ein Brainstorming vor! 1.2 Eros und Thanatos Für Sigmund Freud waren es, wie wir bereits gesehen haben, bestimmte Triebe, die Menschen dazu bringen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Im Verlauf seiner Untersuchungen und seiner Theoriebildung hat Freud zwei große Triebe herausgearbeitet, denen er die Bezeichnungen Eros und Thanatos gab. Gemeinsam ist beiden, dass sie uns nachgerade zu etwas treiben, drängen. Was die als dem Eros zugeordnete, als Libido bezeichnete Triebenergie betrifft, sei an dieser Stelle noch einmal auf das vorangegangene Kapitel verwiesen. Freuds Modell des psychischen Apparats hat, wie wir gesehen haben, sehr stark mit psychischen Energien und Energieflüssen zu tun. Die als Libido bezeichnete Energie ist in diesem Ansatz von hoher Intensität und wirkt sich in vielen Bereichen aus. Um alle Lebenstriebe zusammenzufassen, verwendete Freud seit den 1920er-Jahren statt Libido zunehmend auch den Begriff Eros – im Gegensatz zum Todestrieb, den er als Thanatos bezeichnete. Da sie Menschen drängt und vorantreibt, ist die Libido für Freud auch verantwortlich für kulturelle Hervorbringungen und Interessen. Dies erfolgt in Form von Sublimierung (von lat. sublimis , „erhaben“), also durch Verlagerung der ursprünglich sexuellen Energie auf eine andere Ebene oder ein anderes Gebiet. So kann sich die libidinöse Energie nach Freud auch in nicht-sexuelle Sphären verlagern. Menschen können mit gleichem Enthusiasmus, mit gleicher Begeisterung und Tatkraft VErtiEFunG Bulimie von gr. boulimía , „Heißhunger“ 2 3 r GrundlaGEn Eros und Thanatos In der griechischrömi schen Antike wurden Eros (Liebe) und Thanatos (Tod) als Gottheiten verehrt. úú Kapitel 4.2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlag öbv
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