Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
41 Phase oder perzeptuelle Organisation) . Einfache sensorische Eindrücke wie Farben oder geometrische Strukturen eines Perzepts verdichten sich dabei zu einer konkreten Vorstellung von einer Sache. Diffuses Licht, Farben und Formen werden beispielsweise zu einem roten, runden Gegenstand, der vor unseren Augen langsam an Größe gewinnt. So richtig zuordnen können wir Sinneseindrücke aber erst, wenn sie mit Bedeutung aufgeladen und identifiziert werden können. Erst in diesem Stadium sehen oder hören wir etwas Bestimmtes. Der runde, rote, größer werdende Gegenstand von vorhin wird zu einem Basketball, der auf uns zufliegt. Hier spricht man denn auch von Identifikation und Klassifikation : Der Gegenstand, den wir sehen, entspricht einer vorhandenen Vorstellung und kann wiedererkannt werden. Aus den Reizen, die über Millionen von Netzhautrezeptoren auf uns gekommen sind, haben wir einen konkre- ten Gegenstand zusammengesetzt (bzw. konstruiert), den wir auch benennen und wiedererkennen können. Dadurch machen die Reize für uns Sinn und haben Bedeu- tung, weil wir sie erkennen und in unsere Weltbilder integrieren können. Sähen wir plötzlich ein oszillierendes menschenähnliches Wesen von grau-grüner Farbe, hätten wir ein Problem. Wir wüssten nicht, wohin mit diesem Eindruck. Möglicherweise würden manche dazu neigen, ihn dem Reich der Wahnvorstellungen oder Sinnestäu- schungen zuzuordnen; andere wiederum würden sagen, sie hätten eine Erscheinung gehabt – beides sind zunächst einmal wiederum Formen von Sinnstiftung, nachdem die inneren Barrieren versagt haben und Konstruktionsmechanismen irgendwie gescheitert sind. Der Einfachheit halber haben wir bislang Beispiele verwendet, die einen Bezug zu jeweils einem bestimmten Sinnesorgan herstellen. Aber denken Sie etwa an eine Tüte Eis, die Sie im Sommer verspeisen. Um den Gegenstand „Speiseeis in einem Stanitzel“ wahrnehmen zu können, ist eine aufwendige Aktivität nicht nur von Netzhaut-, sondern auch noch Geschmacks- und Druckrezeptoren erforderlich. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Beschreiben Sie mit eigenen Worten, wie Sinneseindrücke zustande kommen! Erklären Sie in diesem Zusammenhang auch die Begriffe Perzept, Identifikation und Klassifika tion ! Die grobe Neuroanatomie des menschlichen Gehirns, also seine allgemeine struk- turelle Organisation, ist schwer zu verstehen, da sie scheinbar keinen Sinn ergibt. Die Struktur des Nervensystems so einfacher Tiere wie des Regenwurms leuchtet dagegen ein: Es gibt Sinneswahrnehmungen (Input), eine gewisse zentrale Verar- beitung und einen motorischen „Output“. Im Laufe der Evolution des Gehirns entwickelten sich immer wieder neue Strukturen, die ältere Regionen überdecken. Diese älteren Gehirnbereiche sind in der Regel nicht verschwunden, können aber neue Funktionen übernommen haben. Die Evolution verläuft in der Regel konser- vativ: Was einmal entwickelt ist, wird weiter verwendet. Richard E. Thompson: Das Gehirn (3. Aufl. 2010), S. 10 f. 1 AuSFüHrunG Wahrnehmung und Kognition Wahrnehmung und Kognition 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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