Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

42 Der Wahrnehmungsvorgang ist komplex, schon allein weil das menschliche Gehirn komplex strukturiert ist und Informationen dementsprechend aufbereitet. Der Weg zwischen Input und Output ist nicht linear, sondern gekennzeichnet durch vielschich- tige, sehr kreative Bearbeitungsprozesse. An ihrem Ende steht keine bloße Wieder- gabe, sondern eine spezifische Gestaltung von Vorstellungsinhalten. Identifikationsprozesse können, vereinfacht gesprochen, von einzelnen Elementen, die wir wahrnehmen, zu größeren, zusammengesetzten Informationen führen. In diesem Fall wird von Bottom-up-Verarbeitung gesprochen. Wir können mit den einzelnen Sinnesdaten noch nichts oder nur sehr wenig anfangen und verknüpfen sie erst, beginnend bei sehr kleinen Informationsbrocken. Wer noch nie einen Wolf gesehen hat, wird auch nichts daraus schließen können, wenn er den Schwanz eines Wolfes hinter einer Mauer hervorragen sieht. Erst wenn mehr Informationen vorlie- gen, wird klarer, wie eine Wolfsschwanz aussieht und wie das ganze Tier. Aus vielen Einzelteilen basteln wir im Kopf ein Bild, eine Vorstellung. Wenn wir mit Informations- schnipseln hingegen schon mehr anfangen, bringen wir sie mehr oder minder rasch in Verbindung mit bereits vorhandenen Vorstellungen und Konzepten. Dann ist die Rede von Top-Down-Verarbeitung . Wer sich recht gut mit Wölfen auskennt, kann auch schon aus dem Abdruck einer Wolfspfote im Schnee auf die relativ zeitnahe Anwesen- heit eines Wolfs oder einer Wölfin schließen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Rekapitulieren Sie Ihre Kenntnisse zum Aufbau des menschlichen Gehirns aus dem Biologieunterricht! Ergänzen Sie Ihre Erinnerungen durch Recherchen im Internet und in Lexika! Lesen Sie vor diesem Hintergrund die zitierte Textpassage und fassen Sie sie in eigenen Worten zusammen, wenn möglich, unter Hinzufügung von Beispielen! Erklären sie den Unterschied zwischen Bottomupund TopdownVerarbeitung von Wahrnehmungen! 1.3 Vieldeutigkeit Wir gehen in aller Regel davon aus, dass unsere Wahrnehmungen eine Wirklichkeit erkennen lassen, die tatsächlich vorhanden ist. Dies ist eine auch in der Psychologie weithin geteilte Annahme – ob und inwieweit sie ihre Tücken hat, ist eine philosophi- sche Frage. Wir werden diese Annahme hier nicht prinzipiell in Zweifel ziehen und uns lieber der Frage der Erkennbarkeit von Wirklichkeit widmen. Dabei behalten wir im Blick, was wir über die Zusammensetzung und Auswertung von Informationselemen- ten gesagt haben, die in unseren Gehirnen erfolgt. Unsere Vorstellungen sind Kons- trukte, die sehr viel mit bereits Erlerntem, Bekanntem zu tun haben, mit Identifikation und Klassifikation. Die Bilder, die wir bereits im Kopf haben, nehmen daher großen Einfluss auf die Form der Bilder, die vor unseren Augen erscheinen. Bleiben wir im visuellen Bereich: Vieles, was wir sehen, kann unter verschiedenen Perspektiven höchst unterschiedlich wahrgenommen werden. Ganz augenfällig ist dieser Umstand bei sogenannten Kippbildern. VErTiEFunG 2 3 GrundlaGEn úú Kapitel 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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