Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

43 Sicher kennen Sie das Phänomen von Ihren Lektüren oder vom Ansehen von Filmen. Durch einen leichten Perspektivenwechsel ändern sich diese Bilder. Natürlich brau- chen Sie dazu ein bestimmtes Vorwissen. Die Sichtweisen darauf sind oft sehr verschieden, wenn Sie sich mit Freundinnen/Freunden später über das Gelesene oder Gesehene unterhalten. Doch erweisen sich unsere Wahrnehmungsinhalte bereits auf einer weit grundlegenderen Ebene als vieldeutig und interpretationsabhängig. So wie die Kippbilder nicht eine einzige richtige Interpretation zulassen, sind auch sonst häufig unterschiedliche Sichtweisen durchaus vertretbar und zulässig. So erklärt sich denn auch ein Aspekt des eingangs angesprochenen Problems unergiebiger Zeugen- aussagen: Menschen sehen einfach verschiedene Dinge. Je mehr und je genauer sie etwas wahrnehmen und je differenzierter die damit verbundenen Deutungen sind, desto angemessener und umfassender wird die Gesamtbeurteilung ausfallen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Notieren Sie spontan Beispiele, in denen sich Wahrnehmungen nicht eindeutig zuordnen ließen! Was sehen Sie auf diesen Bildern? Verändern Sie einfach Ihren Blickwinkel und Sie werden etwas ganz anderes sehen. Wenn Sie noch nie eine Frau mit großem Hut und Feder gesehen haben, wird die Darstellung auf dem dritten Bild die einer alten Frau aus einer fernen Vergangenheit bleiben. Wenn Sie ein wenig darüber nachdenken, werden Sie feststellen, dass sich solche Mehrdeutigkeiten in vielen Lebensbereichen ergeben. Um eine komplexe Situation angemessen beurteilen zu können, bedürfen Sie unter Umständen einer breiten Palette an Informationen – und können immer noch nicht sicher sein. Sie hören ein Kind gellend schreien. Hat es Schmerzen? Panische Angst? Ruft es um Hilfe? Brüllt es vor Vergnügen? Gehört das Schreien zu einem Spiel? Solange Sie nur unspezifisches Schreien hören, hören Sie eben nur das. Um zu einer genaueren Wahrnehmung sowie zu einer Bewertung derselben zu gelangen, müssen Sie sich dem Kind soweit annähern, dass sie etwas vom Kontext des Schreiens erkennen können. Aber auch da wird es oft noch schwierig genug sein, sich ein umfas- 1 AuSFüHrunG VErTiEFunG Wahrnehmung und Kognition Wahrnehmung und Kognition 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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