Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
62 Die Schriftstellerin und Literaturwissenschafterin Siri Hustvedt skizziert hier unter Rückgriff auf Sigmund Freud das Phänomen, dass wir uns immer an Erinnerungen erinnern, also an die Vorstellungen, die wir uns im Gehirn von dem machen, worauf sich die ursprünglich erhaltenen Informationen bezogen haben. Diese Vorstellungsin- halte verändern sich naturgemäß mit jeder neuen Erinnerung. Das hat nichts damit zu tun, sich selbst etwas vorzulügen, sondern verweist lediglich auf den hohen Komplexi- tätsgrad, den jede Form der Erinnerung aufweist. Damit wir uns später an Informationen erinnern können, müssen sie erst einmal verarbeitet und gespeichert werden. Der Verarbeitungsprozess wird auch als Enkodie- rung bezeichnet. Dabei entsteht im Gedächtnis eine Repräsentation , also eine mentale Vorstellung dessen, was an Information an das Gehirn gelangt ist. Diese Vorstellung ist gewissermaßen kodiert oder verschlüsselt, da sie nicht eine Sache oder einen Ablauf abbildet. Vielmehr bündelt sie die wichtigsten Eigenschaften der Sache oder des Ablaufs. Was jeweils für besonders wichtig gehalten wird, ist durchaus unterschiedlich. Gespeichert wird diese Repräsentation, was bedeutet, dass sie im Gedächtnis über einen mehr oder minder langen Zeitraum aufrechterhalten wird. So lange Informationen gespeichert sind, können sie auch wieder abgerufen, also wieder ins Bewusstsein geholt werden. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie mit eigenen Worten wieder, was hier unter der Nachträglichkeit der Erinne rung verstanden wird! Diskutieren Sie das Phänomen, dass sich Erinnerungen im Lauf der Zeit verändern! Geben Sie Beispiele aus Ihrer eigenen Erfahrung! 3.3 Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis In aktuellen psychologischen Gedächtnistheorien wird meist davon ausgegangen, dass die Enkodierung von Informationen zunächst im sensorischen Gedächtnis erfolgt, diese später ins Arbeits-, dann ins Kurzzeitgedächtnis gelangen und zuletzt in das Langzeitgedächtnis wandern. Das sensorische Gedächtnis (auch Ultrakurzzeitgedächt- nis ) kann man sich als eine Art Zwischenspeicher vorstellen, wo zahlreiche Sinnesda- ten erst einmal abgelegt werden. Das ikonische Gedächtnis speichert visuelle Daten, das echoische Gedächtnis akustische Daten. Allerdings zerfallen viele der im sensori- schen Gedächtnis abgelegten Informationen auch bald wieder, und nur ein Teil gelangt ins Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis . Wenn Sie beispielsweise kurz ein mit vielen Details angefülltes Bild betrachten, bleiben bei Ihnen nur Bruchstücke dessen hängen, was Sie gesehen haben. Die Begriffe Arbeitsgedächtnis und Kurzzeitgedächtnis werden in der Psychologie heute teils für dasselbe Phänomen verwendet, teils unterschieden. In jedem Fall geht es darum, dass Informationen gespeichert werden, die für das Gehirn bereits in einem Zusammenhang stehen. Nicht mehr einzelne Bildteile wie im ikonischen Gedächtnis Siri Hustvedt (geb. 1955) VErTiEFunG 2 3 GrundlaGEn Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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