Zeichen 2, Schulbuch

27 der „Behausung“ auf. Nur ein Sonnenstrahl streift ihren Hut. Man weiß, dass Carl Gustav Carus seine poetischen Stimmungsbilder häufig als symbolische Aussagen zu grundsätzlichen Lebensthemen verstanden haben wollte. Wahrscheinlich beabsichtigte er mit diesem Gemälde seine Vorstellung einer idealen Beziehung zwischen Mann und Frau darzustel- len. Der Mann ist verantwortlich für das gemeinsame Vorwärtskommen, er gibt die Richtung an. Die Frau bietet ihm dafür einen geborgenen Rück- zugsort. Sie überlässt sich vertrauensvoll seiner Führung. Veränderte Sichtweisen Aus heutiger Sicht wirkt diese Beschränkung der Frau auf den häuslichen Bereich als Einengung, aber zur Entstehungszeit des Bildes war diese Auffassung sehr modern. Das aufstrebende Bürger- tum wollte sich von den teils zu starren, teils zu lockeren Sitten des Adels abgrenzen und war auf der Suche nach klaren moralischen Richtlinien. Die bildenden Künste, das Theater und die Literatur lieferten dafür die Vorbil- der. So heißt es z. B. in Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ (1799): Rollenbilder Solche festen Vorstellungen, welche Eigenschaften zum We- sen des Mannes bzw. der Frau gehören, nennt man Rollenbilder: So wie Schauspielerinnen und Schauspieler in einem Theaterstück vorgegebene Rollen übernehmen, so werden Frauen und Männern bestimmte Verhal- tensweisen und Aufgabenbereiche zugeschrieben. Oft werden diese Zu- ordnungen mit natürlichen Veranlagungen begründet, aber vorwiegend handelt es sich um anerzogene Einstellungen. Gender Während das aus dem Lateinischen kommende Wort „Sexus“ unser biologisches Geschlecht meint, soll „Gender“ das gesellschaftlich und kulturell geprägte Geschlecht beschreiben. Vereinfacht gesagt: alle Erwar- tungen, die die Gesellschaft Mädchen und Jungen, Frauen und Männern zu- schreibt. Verhaltensmuster werden uns durch Vorbilder – unsere Eltern – vorgelebt und in Filmen und Zeitschriften täglich vor Augen geführt. „Der Mann muss hinaus Ins feindliche Leben, Muss wirken und streben Und drinnen waltet Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise Im häuslichen Kreise …“ Göttin In der antiken Mythologie nahm Diana die Rolle der wilden, unzähmbaren Frau ein. Sie war Jägerin, die „Herrin der Tiere“ und die Beschützerin der gebären- den Mütter. Bei dem Mädchen im Bild oben verweisen Attribute wie das Jagd- horn oder der Hund auf diese Göttin. Es steht damit im krassen Gegensatz zu den Abbildungen aus einem Kinderbuch auf dieser Seite (Abb. 3). Dort werden typische Vorurteile bildhaft weitergegeben und verfestigen so traditionelle Rollenbilder. Erblicken wir oben noch eine selbst- bewusste Jägerin, ist das Mädchen unten das Sinnbild für eine negative Eigen- schaft. Positives wie der Mut bleibt hier dem Buben vorbehalten. Heldin Ihr Bild ging um die Welt. Als Schulen für Mädchen in ihrem Heimatland Pakistan geschlossen wurden, setzte sich Malala für deren Recht auf Schulbildung ein. Sogar eine schwere Schussverletzung nach einem Attentat konnte ihren Protest nicht stoppen. Für ihr Engagement für die Rechte von Mädchen auf Bildung erhielt sie 2014 als 17-Jährige den Friedensnobel- preis verliehen. 5 Malala Yousafzai (geb. 1997), Foto, 2013 4 Caesar Boëtius van Everdingen (um 1617–1678): Porträt eines Mädchens als Jägerin, 1665 3 Theodor Hosemann (1807–1875): Zwei Kinder symbolisieren die Eigenschaften „Eitelkeit“ und „Mut“. Kinderbuch, 1847 v.Chr. 0 500 1000 1500 heute Carl Gustav Carus (1789–1869) Malala (geb. 1997) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=