Zeichen 2, Schulbuch

39 Ein gescheitertes Projekt? Nach dem missglückten Start wurde das Pro- jekt des Grabmonuments immer wieder aufgeschoben. Während der War- tezeit erhielt Michelangelo vom Papst andere Aufträge: In diesen Jahren entstanden zum Beispiel die berühmten Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle . Das Grabmal selbst wurde nie mehr in der ursprünglich geplanten Form fertiggestellt. Michelangelo vollendete nur die Figur des Moses. Andere Statuen, die er bereits begonnen hatte, blieben in einem unfertigen Zustand. Nach dem Tod des Papstes wurde die Statue des Moses aufge- stellt: nicht, wie geplant, im Petersdom, sondern in der römischen Kirche San Pietro in Vincoli. Erstaunliche Wirkung Als die Statue des Moses erstmals öffentlich ge- zeigt wurde, bewunderten die Menschen vor allem die ungewöhnlich lebendige Ausstrahlung der Figur. Wer vor der Statue steht, hat den Ein- druck, der auf den ersten Blick ruhig dasitzende Moses könne im nächs- ten Moment aufspringen. Wie kann eine Statue aus Marmor eine so starke Wirkung erreichen? Unruhe und Anspannung Michelangelo hatte für seine Darstellung ei- nen Augenblick gewählt, der unentschieden zwischen Ruhe, Anspannung und Bewegung liegt. Diese Unentschiedenheit und Unruhe überträgt sich auch auf die Betrachterinnen und Betrachter. Die rechte Hand des Moses stützt sich scheinbar entspannt auf die stei- nernen Gesetzestafeln, aber die Finger sind in Bewegung. Ihre Heftigkeit ist noch in den zur Seite gezogenen Bartsträhnen ablesbar. Die linke Hand liegt ruhig auf dem Bauch, aber der Oberarm ist leicht angewinkelt, die Muskeln sind angespannt. Noch stärker wird die Anspannung am rechten Unterschenkel sichtbar und vor allem im Knie, in dem sich die ganze Kraft der Figur zu sammeln scheint. Das linke Bein ist bereits zurückgestellt, wie um einen Halt zum Abstoßen zu suchen, der Fuß be- rührt nur noch mit den Zehen den Boden. Ausbildung in Florenz Michelangelo, der nach dem Wunsch seines Vaters eigent- lich Jurist werden sollte, begann seine künstlerische Ausbildung in der erfolg- reichen Malerwerkstatt Domenico Ghirlandaios (1449–1494) in Florenz. Als Vierzehnjähriger wechselte er seinen Ausbildungsplatz. Er wurde in eine damals völlig neuartige Schule für Bildhauerei aufgenommen. Lorenzo de’ Medici, damals der mächtigste Mann der Stadt, hatte sie gegründet. Er besaß eine Sammlung antiker Kunstwerke: Statuen und Reliefs aus Marmor oder Bruch- stücke davon. Er schätzte diese Fund- stücke sehr und wollte jungen Künstlern die Möglichkeit geben, ihren eigenen Stil daran zu schulen. Kunst oder Teufelswerk? Antike Kunst- werke wurden in Italien immer wieder gefunden: beim Ausheben von Bau- gruben oder bei der Feldarbeit. Während des Mittelalters hatte man diese Funde meist sofort zerstört. Sie wurden als Überreste einer heidnischen Zeit abge- lehnt und wegen ihrer ungewohnt lebendigen Ausdrucksweise mitunter sogar als Teufelswerk betrachtet. Bronzestatuen wurden eingeschmolzen und Marmorfiguren zerschlagen. Ihre Bruchstücke wurden zu Kalk gebrannt, der als Baumaterial Verwendung fand. Renaissance Zu Michelangelos Zeit – in der Epoche der Renaissance – änderte sich diese Einstellung. In Italien sahen immer mehr gebildete Menschen in den antiken Fundstücken die großartigen Werke ihrer Vorfahren. So wie Lorenzo de’ Medici begannen auch andere Menschen, die sich das leisten konnten, Sammlungen einzurichten. 3 Michelangelo: Moses, Detailansicht 4 Florenz: Kuppel des Doms v.Chr. 0 500 1000 1500 heute Michelangelo (1475–1564) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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