Zeichen 2, Schulbuch
65 Das Atelier als abgeschirmter Ort C. D. Friedrichs Arbeitsraum erscheint unge- wöhnlich leer (Abb. 1, 2). Außer Staffelei und Sessel gibt es nur einen kleinen Tisch, auf dem ein Malkasten und einige Flaschen mit Ölen und Farbpigmenten stehen. Das Atelier als öffentliche Bühne Dass nicht alle Künstler Wert auf stille Zurück- gezogenheit legten, zeigt ein Gemälde des Malers Carl Christian Vogel von Vogelstein (1788–1868). Auch er malte einen seiner Künstlerfreunde im Atelier. Dieser, ein Bildhauer, arbeitet vor Zuschauerinnen und Zuschauern. An der Wand zwischen den beiden Fens- tern hängen eine Palette, ein Dreieck, eine Reißschiene und ein Lineal. Das sind Hilfsmittel, die auf exaktes Arbeiten hin- weisen. Von kreativer Unordnung, wie man- che Menschen sie von Künstlerinnen und Künstlern erwarten, ist hier nichts zu sehen. Die Wände sind kahl. Das linke Fenster ist im unteren Teil mit Läden abgedeckt, das rechte ist völlig verschlossen. Aus anderen Bildern weiß man, dass die Fenster auf eine weite Flusslandschaft gerichtet sind. Friedrich will sich aber offenbar durch nichts von seinen inneren Vorstellungsbildern ablenken lassen. Einmal schreibt er: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild. Dann fördere zu Tage, was du im Dunkel gesehen, und fördere nach außen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ Motive Caspar David Friedrich malte nicht das, was er unmittelbar vor sich sah. Er erfand Bilder, Landschaften zum Beispiel, die bestimmte Gefühle oder Gedanken ausdrücken sollten. Dabei griff er auch auf zeich- nerische Natur studien zurück, die er auf Wanderungen und Reisen zuvor angefertigt hatte. Motive oder Details aus diesen Zeichnungen baute er in seine Gemälde ein. Die Natur studien halfen ihm, seinen Bildern ein wirklichkeitsgetreues Aussehen zu verleihen, sie waren aber nur Mittel zum Zweck. Mit seinen Gemälden wollte er ganz bestimmte Wirkungen erreichen. Von seinen Zeichnungen übernahm er daher nur das, was er dem eigentlichen Bildkonzept jeweils unterordnen und anpassen konnte. Zeichnung und Malerei Einen Beleg für die beschriebene Arbeitsweise bietet die Bleistiftzeichnung eines Segelschiffes, das C. D. Friedrich wäh- rend seiner Hochzeitsreise im Hafen seiner Geburtsstadt Greifswald mit geübter Hand festgehalten hatte. Ein knappes Jahr später verwendete er diese Zeichnung als Vorlage für ein Gemälde, das einen Mann und eine Frau am Bug eines Schiffes zeigt. Sie halten einander an den Händen. Der Wind bläht die Segel. Am Horizont erscheinen im Dunst die Türme einer Stadt. Ist es ein heimatlicher Hafen? Meint Friedrich mit den beiden Figu- ren sich und seine junge Frau, die sich nun mit ihm auf eine gemeinsame Lebensfahrt begibt? Romantik Die gefühlvolle Stimmung ist charakteristisch für die Kunst- strömung, die damals in Europa vorherrschend war: die Romantik . Bilder der Natur wurden gerne als Symbole für die Sehnsucht der Menschen nach dem Unendlichen verwendet. Prüfender Blick C. D. Friedrich hat immer wieder betont, wie wichtig ihm die gedankliche Aussage seiner scheinbar so naturgetreuen Landschafts- darstellungen war. In Kerstings Atelierbild (Abb. 1) macht er nicht wirklich eine Pause. Er steckt mitten in seiner eigentlichen Arbeit. Er prüft, ob die Farben und Formen auf der Leinwand wirklich das ausdrücken, was er beabsichtigte. Er legt seine Korrekturen und die nächsten Arbeitsschritte fest. Planende Überlegung und Intuition leiten ihn gleichzeitig. 5 Carl Christian Vogel von Vogelstein: Der Bildhauer David d’Angers modelliert eine Büste des Dichters Ludwig Tieck, 88,3 × 94,5 cm, Öl auf Leinwand, 1834 3 Caspar David Friedrich: Blick über den Bug eines segelnden Schiffes, Bleistiftzeichnung, 1818 4 Caspar David Friedrich: Auf dem Segler, 71 × 56 cm, Öl auf Leinwand, 1818/19 Vernissage Die Fertigstellung eines Gemäldes und das Auftragen des Schluss- firnisses galten im 19. Jahrhundert als Event, das oft vor Publikum stattfand. Der Name „Vernissage“ (Vernis = Firnis ) blieb als Bezeichnung für Ausstellungs- eröffnungen bis heute erhalten. v.Chr. 0 500 1000 1500 heute Caspar David Friedrich (1774–1840) Nu zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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