Zeichen 3, Schulbuch
27 einer stillgelegten Industrieanlage gefunden. Wenn dieses riesige Gebilde eingeschaltet wird, werden unterschiedliche Bewegungsabläufe gestar- tet. Außerdem ertönt ein vielstimmiges Rattern, Schlagen, Pfeifen und Summen, das eine eigenartige Stimmung vermittelt. Schattenseiten Neben aller Lebensfreude gab es bei Tinguely aber immer auch eine dunkle, unheimliche Seite. Nach einer Herzoperation trat sie immer deutlicher hervor. Als in seiner Nachbarschaft durch einen Blitzschlag ein Bauernhof abbrannte, holte er sich aus den rauchenden Trümmern Teile von landwirtschaftlichen Maschinen und andere ver- kohlte Überreste. Diese Fundstücke fügte er mit Tierschädeln zu beängs- tigenden Maschinenungeheuern zusammen. 10 Jean Tinguely: Mengele-Totentanz, 1986 Totentanz Langsame Bewegungen, stöhnende Geräusche und die dra- matische Beleuchtung verstärkten den gespenstischen Charakter dieser Objekte. Tinguely nannte diese Skulpturen-Gruppe „Mengele-Totentanz“ (Abb. 10). Mengele war der Name eines Arztes, der in der Zeit des Natio- nalsozialismus im Vernichtungslager Auschwitz grausame medizinische Experimente an Häftlingen durchgeführt hatte. Diese düstere Werkgruppe war der Abschluss einer Entwicklung, die mit beweglichen Wandbildern begonnen hatte und im Laufe der Jahre immer neue Gestaltungselemente einbezog: Farbe, Wasser, Geräusche, Raum und Licht. Lass dich von Jean Tinguelys Arbeitsweise anregen, selbst eine „verrückte“ Figur aus kleinen Fundstücken zu bauen: etwa aus Spielzeugteilen, Vogelfedern, Gebrauchsgegenständen usw. Ein starker Draht, den du in einen Holzsockel steckst, bildet das Grundgerüst. Erfinde einen poetischen Titel! Die Ideensuche für die Herstellung einer solchen Skulptur kann selbst zu einem bunten, mit vielen Einfällen vollgestopften Bild werden. Nimm Tinguelys Briefcollage als Beispiel. Die gemeinschaftliche Herstellung einer großen „Geräuschmaschine“ für die Pausenhalle bietet Möglichkeiten für den fächerübergreifenden Unterricht: Konstruktion von Gerüst und Mechanik (Technisches Werken), experimentelle Klangerzeugung (Musikerziehung) und fantasievolle Ausgestaltung mit Fundstücken aller Art (Bildnerische Erziehung). 11 Jean Tinguely: Brief an Felix Leu, 1966 Ein Brief? Tinguelys übersprudelnde Fantasie fand auch in seinen Briefen Ausdruck, die er an seine Bekannten schickte. Geschriebene Notizen sind mit Werkskizzen und aufgeklebten Bildern zu einem bunten Durcheinander gemixt (Abb. 11). Gemeinschaftsprojekte Der Baseler „Fasnachtsbrunnen“ (Abb. 4) fand bei der Bevölkerung so viel Anklang, dass Tinguely gebeten wurde, auch für andere Städte solche Brunnenanlagen zu gestalten. Besonders beliebt ist der Pariser „Strawinsky-Brunnen“, den er gemeinsam mit seiner Frau Niki de Saint Phalle schuf (vgl. Zeichen 1: Zauber gärten). Ein Großprojekt, zu dessen Verwirklichung neben Tinguely und Niki de Saint Phalle noch weitere 14 Künstlerinnen und Künstler beige tragen haben, steht in einem Wald bei Milly-le-Foret in Frankreich. In diesem riesigen Objekt, das 22,5 Meter Höhe erreicht, wurde sogar ein Eisenbahn waggon verbaut. 12 Jean Tinguely und 15 weitere Künstlerinnen und Künstler: „Der Cyclop“, Gemeinschaftsprojekt, 1969–89 v.Chr. 0 500 1000 1500 heute 1987, Jean Tinguely: Große Meta-Maxi-Maxi-Utopia Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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