Zeichen 3, Schulbuch

58 Holzstich oder Holzschnitt? Flächen und Linien  Eine Fotografie wie diese (Abb. 13) könnte die Vorlage für Felix Vallottons Holzschnitt (Abb. 14) gewesen sein. Der seitenverkehrt gespiegelte Ausschnitt (oberes Bild) kommt dem Holzschnitt bereits sehr nahe. Sämtliche Grauwerte und Über­ gänge mussten allerdings noch auf reines Schwarz-Weiß (Flächen und Linien) reduziert werden. 13  Queen Victoria, Fotografie, um 1885. Originalaufnahme (unten) und gespiegelter Ausschnitt (oben) 14  Felix Vallotton: Königin Viktoria, Holzschnitt , 1897 15  Felix Vallotton: Edgar Allan Poe, Holzschnitt , 1894 Gewerbe und Kunst  Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Holzstich eine der wichtigsten Reproduktionstechniken und im gewerblichen Bild- druck stark verbreitet. Für Künstlerinnen und Künstler, die damals nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchten, war diese Technik aber relativ uninteressant. Die Eigenschaften des traditionellen Holzschnitts wurden wieder geschätzt und in neuen Bildexperimenten erprobt. Die Arbeit mit Messer und Hohleisen erlaubte viel mehr Spontaneität als jene mit dem Grabstichel. Es ging auch nicht mehr darum, feine Details und plastische Modellierungen im Bild darzustellen. Man konnte auf feine Linien und Schraffuren verzichten und auch große unbearbeitete Flächen für die Gestaltung einsetzen. Vereinfachung der Formen  Welche Ausdrucksqualitäten diese neuen Flächenschnitte hatten, kann man an den Arbeiten Félix Vallottons (1865– 1925) sehen. Vallottons Vorliebe für knappe, treffende Charakterisierun- gen fand im Holzschnitt das passende Medium. Beispiele für seine radikale Vereinfachung der Formen, seine Beschrän- kung auf typische Merkmale eines Motivs und den Verzicht auf Grautöne geben seine Porträts. Der entwickelte Stil Vallottons benötigt schließlich nur noch wenige Flächen und Linien, um ein Motiv zu charakterisieren. Auf dem Porträt Königin Viktorias deutet der Künstler die Rundung der Backe mit nur wenigen plastischen Schraffur- Linien an. Das Gesicht Edgar Allan Poes ist nur aus flächigem Schwarz und Weiß aufgebaut. Wenn du ein Porträt foto als Vorlage für einen Linolschnitt verwenden willst, musst du aus den eher dunklen Grautönen ein Schwarz machen, aus den hellen ein Weiß. Deshalb ist eine kontrastreiche seitliche Beleuchtung günstig. Setze dich ans Fenster und lass dich von einer Freundin oder einem Freund so fotografieren, dass das Licht nur auf eine Gesichtshälfte fällt. Die Kontraste lassen sich mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms weiter verstärken und durch Linien umgrenzen. Mit Pauspapier kannst du diese Flächengrenzen seitenverkehrt auf die Linolplatte übertragen. Wenn du eine Digitalkamera und einen Computer zur Verfügung hast, wird diese Tonwert-Trennung natürlich noch perfekter. Aber denke daran, dass die „altmodische“ händische Übertragung viele kleine Gestaltungs­ entscheidungen von dir verlangt, die auch sehr interessant sein können. Vom Feinen zum Groben Nur zu Prüf wecken – Eigentu des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=