Zeichen 4, Schulbuch
Licht-Bilder 40 Dunkle Kammer Seit der Renaissance strebten Kunstschaffende danach, die sichtbare Wirklichkeit möglichst getreu wiederzugeben. Um die Schwierigkeiten der Perspektive (vgl. Zeichen 4: Ein Bild wie die Wirklich- keit) leichter zu bewältigen, verwendete man eine Zeichenhilfe – die Camera obscura : Das war ein kastenartiges Gerät mit einer Linse, einem Umkehrspiegel und einer Mattscheibe, auf der die Umrisse von Häusern, Bäumen usw. einfach nachgezeichnet wurden (Abb. 1). Positiv Am Beginn des 19. Jahrhunderts versuchten mehrere Forscher eine Methode zu finden, mit der dieses „eingefangene“ Bild auf einer che- misch präparierten Platte dauerhaft fixiert werden konnte. Der Franzose J. N. Niépce (1765–1833) war der Erste, dem es gelang: Für seine Aufnahme, die den Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers sehr verschwom- men zeigt, benötigte er noch eine Belichtungszeit von acht Stunden. Nach dem Tod von Niépce führte sein Partner L. J. M. Daguerre (1787–1851) die Experimente weiter und veröffentlichte die Erfindung 1839 unter dem Namen Daguerrotypie . Die Belichtungszeit für die „Ansicht des Boulevard du Temple“ betrug zwar nur mehr wenige Minuten, aber für das Festhal- ten von bewegten Objekten war das dennoch viel zu lange. Fahrende Kut- schen oder gehende Passanten blieben unsichtbar. Nur der Mann, der sich gerade die Schuhe putzen ließ, musste zwangsläufig einige Minuten still stehen, sodass seine Gestalt auf der lichtempfindlichen Metallplatte eine Abbildung hinterließ (Abb. 3 und Detail oben im Kreis). Negativ Aufgeweckt durch Daguerres Veröffentlichung beeilte sich nun auch der Engländer H. F. Talbot (1800–1877), sein eigenes fotografisches Verfahren, an dem er schon mehrere Jahre gearbeitet hatte, patentieren zu lassen. Während Daguerrotypien teure Unikate waren, hatte Talbots Methode den Vorteil, dass zuerst ein Negativ (auf Papier) hergestellt wurde, von dem dann beliebig viele Positive (ebenfalls auf Papier) abge- zogen werden konnten. Talbot nutzte diese Vervielfältigungsmöglichkeit für die Herausgabe eines Buches, in dem er seine Methode anhand von hineingeklebten Fotografien anschaulich schilderte. Der Titel „The Pencil of Nature“ lässt erkennen, dass er in seiner Erfindung eine Perfektionie- rung der Wirklichkeitswiedergabe sah: Das Licht ist gleichsam der „Zei- chenstift der Natur“, mit dem diese sich selbst abbildet, detailreicher und wahrhaftiger, als es einer zeichnenden Hand möglich ist. Diese ersten fotografischen Verfahren stießen auf breites gesellschaftliches Interesse. Vor allem die Porträtfotografie ließ den Markt schnell wachsen. Laufend wurden neue Methoden entwickelt. 1 Camera obscura 2 J. N. Niépce: Blick aus dem Fenster, um 1827 4 H. F. Talbot: Die offene Tür, 1843 3 L. J. M. Daguerre: Ansicht des Boulevard du Temple, 1839 Tendenzen der Fotografie bis 1945 Ist Fotografie Kunst? Diese Frage wird seit mehr als 175 Jahren immer wieder gestellt und sehr unterschiedlich beantwortet. Dieses Kapitel will dir einen Überblick über die wichtigsten Tendenzen der Fotografie von ihren Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg vermitteln. Außerdem soll es dich anregen, selbst fotografische Versuche zu wagen, die über das ge- wohnte Erinnerungsfoto oder Selfie hinausgehen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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