Zeichen 4, Schulbuch
41 Fotogemälde Um zu beweisen, dass man mithilfe des neuen Mediums tatsächlich auch Kunstwerke schaffen konnte, wählte man bedeutsame Themen und schuf große Formate. So gestaltete z. B. der in England lebende Schwede O. G. Rejlander (1813–1875) eine 78 × 40 cm große Foto- grafie mit dem Titel „Die zwei Lebenswege“: In der Mitte steht ein alter Mann. Der Jüngling und die Figuren auf der rechten Seite symbolisieren den frommen, ehrbaren Lebensweg, jene auf der linken den sündhaften. Rejlander hatte für diese Szene eine Schauspieltruppe engagiert, die er einzeln oder in kleinen Gruppen fotografierte. Aus den etwa 30 Negativen setzte er die Gesamtkomposition zusammen. Sie wurde in einer großen Ausstellung gezeigt. Königin Viktoria war begeistert und kaufte einen Abzug für das Studierzimmer ihres Ehemannes, Prinz Albert. Rejlander wollte die Fotografie zur Kunst erheben, indem er die Inhalte und Gestal- tungsweisen der damaligen akademischen Malerei nachahmten. Diese Auffassung fand viel Zustimmung. Aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine Gegenströmung. Ihr Wortführer war P. H. Emerson (1856–1936). Er kritisierte die steifen Atelierposen und forderte mehr Natürlichkeit. Man sollte hinaus ins Freie gehen und sich dort ungeküns- telte Motive suchen. Auch allzu große Schärfe sei zu vermeiden, weil sie nicht dem natürlichen Augeneindruck entspreche. Einige dieser Forde- rungen erinnern an verwandte Bestrebungen der impressionistischen Malerei (vgl. Zeichen 2: Im Atelier). Emersons Anhängerinnen und Anhänger nahmen diese Anregungen be- geistert auf und erzeugten absichtlich unscharfe Bilder, um malerische Wirkungen zu erreichen. Wegen ihrer Ähnlichkeit zu den stimmungsvol- len Gemälden der Jahrhundertwende nannte man diese Richtung „ pikto- rialistische (malerische) Fotografie“. Einer ihrer einflussreichsten Förderer war der Amerikaner Alfred Stieglitz (1864–1946). Nach dem Vorbild euro- päischer Künstlervereinigungen gründete er 1902 in New York die „Photo- Secession“, die Fotozeitschrift „Camera Work“ und später auch eine berühmte Galerie. Nutze einen regnerischen Tag oder frisch gefallenen Schnee für eine Foto-Tour durch deine nähere Umgebung! Durch Schneedecke und Schneehauben oder durch Spiegelungen auf nassem Asphalt können banale Orte plötzlich eine eigenartige poetische Stimmung ausstrahlen. 5 O. G. Rejlander: Die zwei Lebenswege, 1857 6 P. H. Emerson: Seerosen, 1886 7 Edward Steichen: Flatiron, New York, 1906. Für den Stil der Piktorialisten ist Edward Steichens (1879–1973) New Yorker Straßenszene charakteristisch: Nebel, Dämmerung und silhouettenhafte Figuren waren ihre bevorzugten Motive. Auch Stieglitz selbst fotografierte gerne solche Stimmungen. Der Schnee ließ Zäune, Straßenlaternen und Gesimse als grafische Muster hervortreten. 8 Alfred Stieglitz: Blick aus meinem Fenster, New York, 1907 v.Chr. 0 500 1000 1500 heute 19.8.1839: „Geburtsstunde der Fotografie“ Nur zu Prüfzw cken – Eigentum es Verlags öbv
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