sprachreif 1, Schulbuch

128 Unterstreichen Sie die Textstellen, die Ihnen Informationen über Charlottes Aussehen und Charakter verraten. Achten Sie darauf, welche Phrasen und Ausdrücke gewählt werden, um Charlotte zu be- schreiben. Beantworten Sie dann folgende Fragen schriftlich: •• Ermöglicht es Ihnen die Beschreibung, sich eine genaue Vorstellung des Charakters zu machen? •• Auf welche Bereiche wird bei der Beschreibung Wert gelegt (Aussehen, Charaktereigenschaften, Verhalten …)? Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther Dir in der Ordnung zu erzählen, wie’s zugegan- gen ist, dass ich eins der liebenswürdigsten Ge- schöpfe habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und glücklich, und also kein guter Historienschreiber. Einen Engel! – Pfui! Das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande, dir zu sagen, wie sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist; genug, sie hat allen meinen Sinn gefangenge- nommen. So viel Einfalt bei so viel Verstand, so viel Güte bei so viel Festigkeit, und die Ruhe der Seele bei dem wahren Leben und der Tätigkeit. […] Ich hab’s nicht überwinden können, ich musste zu ihr hinaus. Da bin ich wieder, Wil- helm, will mein Butterbrot zu Nacht essen und dir schreiben. Welch eine Wonne das für meine Seele ist, sie in dem Kreise der lieben, muntern Kinder, ihrer acht Geschwister, zu sehen! Wenn ich so fortfahre, wirst du am Ende so klug sein wie am Anfange. Höre denn, ich will mich zwin- gen, ins Detail zu gehen. […] Unsere jungen Leute hatten einen Ball auf dem Lande angestellt, zu dem ich mich denn auch willig finden ließ. Ich bot einem hiesigen guten, schönen, übrigens unbedeutenden Mädchen die Hand, und es wurde ausgemacht, dass ich eine Kutsche nehmen, mit meiner Tänzerin und ihrer Base nach dem Orte der Lustbarkeit hinausfah- ren und auf demWege Charlotten S. mitnehmen sollte. – „Sie werden ein schönes Frauenzimmer kennenlernen“, sagte meine Gesellschafterin, da wir durch den weiten, ausgehauenen Wald nach dem Jagdhause fuhren. – „Nehmen Sie sich in Acht“, versetzte die Base, „dass Sie sich nicht ver- lieben!“ – „Wieso?“, sagte ich. – „Sie ist schon vergeben“, antwortete jene, „an einen sehr bra- ven Mann, der weggereist ist, seine Sachen in Ordnung zu bringen, weil sein Vater gestorben ist, und sich um eine ansehnliche Versorgung zu bewerben.“ – Die Nachricht war mir ziemlich gleichgültig. […] Ich war ausgestiegen, und eine Magd, die ans Tor kam, bat uns, einen Augenblick zu verziehen, Mamsell Lottchen würde gleich kommen. Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause, und da ich die vorliegenden Treppen hi- naufgestiegen war und in die Tür trat, fiel mir das reizendste Schauspiel in die Augen, das ich je gesehen habe. In dem Vorsaale wimmelten sechs Kinder von elf zu zwei Jahren um ein Mädchen A16  Merkenswert: Fiktionale Texte sind Texte, deren Inhalte erfunden sind. Sie entsprechen nicht unbedingt der Realität und können völlig unwahrscheinliche Elemente aufgreifen. Obwohl sie reale Personen, Ereignisse und Schau- plätze enthalten können, geben sie die Ereignisse nicht völlig wahrheitsgetreu wieder. Zu solchen Texten zählen Romane, Märchen, oder auch Erzählungen, die häufig über einen eher ausschmückenden Stil verfügen. Fiktionale Texte können aber auch sachlich formuliert sein. Nichtfiktionale Texte sind alle Texte, die die Wirklichkeit möglichst wahrheitsgetreu wiedergeben und sich an reale Tatsachen halten. Dazu gehören z. B. Sachtexte, Zeitungsartikel oder auch Biografien. Auch hier gibt es keine absolute Festlegung des Stils – neben üblicherweise eher sachlich verfassten Texten gibt es auch viele, die (wie z. B. Biografien) in erzählerischem Stil verfasst sind. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 Text- kompetenz Literarische Bildung 5  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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