sprachreif 2, Schulbuch

146 5. Welche anderen Sichtweisen gibt es? 6. Was erwarte ich mir? Welche Reaktion will ich hervorrufen? Zwischenstopp Sie sollten jetzt folgende Teilkompetenzen erworben haben: • einen offenen Brief im Detail planen können • einen offenen Brief zu einem aktuellen Thema verfassen können • einen offenen Brief nach Vorgaben überarbeiten können 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 Vernunft und Verstand − die Aufklärung Die Epoche der Aufklärung kennzeichnet sich besonders dadurch, dass die Menschheit erstmals dazu aufgefordert wird, nicht mehr blinden Gehorsam gegenüber den bisherigen übermächtigen Institu- tionen Staat und Kirche zu üben, sondern selbst für sich entscheiden und denken soll. Diese Forde- rung war für die Machtinhaber mit großen Gefahren verbunden, da sie praktisch zum Widerstand gegen die Mächtigen aufrief. Diese Zeit zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert legte die Basis für viele Entwicklungen und soziale wie politische Veränderungen. Der eigene Verstand des Menschen stand im Mittelpunkt dieser Epoche und die „Erleuchtung“ (Enlightenment) der Menschen durch die Wahrheit war das erklärte Ziel von Literaten und Philosophen. Immanuel Kant und seine Bedeutung Immanuel Kant (1724–1804) war einer der bedeutendsten Aufklärer und übte mit seinen Schriften einen großen Einfluss auf die Epoche und die Gesell- schaft aus. Seine Bedeutung für die Zeit der Aufklärung kann kaum über- schätzt werden. Daher wurde auch sein Werk, das die Frage „Was ist Aufklä- rung?“ beantwortet, zu einem der bekanntesten in der deutschen Literatur. Lesen Sie nun einen Auszug aus Kants Text. Beantworten Sie folgende Fragen im Plenum: Welche Forderungen stellt Kant? Gegen wen richten sich seine Forderungen? Was sieht Kant als Ursache für die Missstände? Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Un- mündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Ver- standes ohne Leitung eines anderen zu bedie- nen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei ge- sprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vor- mündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, un- mündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Ge- wissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät be- urteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich überneh- men. Daß der bei weitem größte Teil der Men- schen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er C A28 Literarische Bildung 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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