sprachreif 2, Schulbuch

147 beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genom- men haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüte- ten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; al- lein ein Beispiel von der Art macht doch schüch- tern und schreckt gemeinhin von allen ferneren Versuchen ab. Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie so- gar lieb gewonnen und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu be- dienen, weil man ihn niemals den Versuch da- von machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immer- währenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwür- fe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht ge- wöhnt ist. Daher gibt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun. Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Frei- heit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da wer- den sich immer einige Selbstdenkende sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen selbst zu denken um sich verbreiten werden. Besonders ist hierbei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie da- nach selbst zwingt darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es Vorurteile zu pflan- zen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrsch- süchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Re- form der Denkungsart zustande kommen; son- dern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen. […] QUELLE: http://gutenberg.spiegel.de/buch/beantwortung-der-frage-was-ist-aufklarung-3505/1 ; (abgerufen am 12.02.2015) (in Original-Rechtschreibung) Der folgende Artikel wirft einen Blick auf Kant aus damaliger und heutiger Sicht. Lesen Sie den Artikel und erstellen Sie eine chronologische Liste mit wichtigen Ereignissen in Kants Leben. A29 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 Kritik der reinen Brunft Von Christine Knust | 10.06.2009 Immanuel Kant finanzierte sein Studium mit Billard-Turnieren und hatte nie eine Freundin. Was wäre heute aus ihm geworden? Teil 17 einer Serie über Studenten von früher Wäre dieser Zufall nicht gewe- sen , dann wäre der junge Ema- nuel Kant – mit E und nur ei- nem m – wohl Riemermeister geworden, wie sein Vater auch, und hätte täglich in der Werk- statt gestanden und Pferdege- schirre und Schuhsohlen ge- näht, anstatt über Metaphysik und andere hochgeistige Theo- reme nachzugrübeln. Dass Emanuel einmal ein großer Phi- losoph werden konnte, so groß, dass sich noch 300 Jahre später Menschen als „Kantianer“ be- zeichnen, verdankt er letztlich der pietistischen Bibelstunde, in die seine Eltern ihn schicken. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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