sprachreif 2, Schulbuch

55 Lastern erste und ärgste“ und sah dafür die Todesstrafe vor. Im Strafgesetzbuch Jo- sephs II. aus 1787 wurde der Tä- ter hingegen als bemitleidens- werter „Wahnwitziger“ gesehen, dem nur mit Sicherungs- und Besserungsmaßnahmen entge- genzutreten sei. Das vielfach einen Rückschritt darstellende Strafgesetz 1803 und die ihm weitgehend folgenden späteren Strafgesetze sahen die Gottes- l äs t e rung a l s Form de r Religionsstörung. So hieß es im Strafgesetz 1945 (§ 122) „Religionsstörung … begeht, a) wer durch Reden, Handlungen, in Druckwerken oder verbreite- ten Schriften Gott lästert …“. Religionsdelikte im Strafrecht Im Strafgesetzbuch 1974 kam es dann zu der immer wieder ge- forderten Neufassung der Reli- gionsdelikte. Ausgehend von der Überzeugung, dass Gott bzw. die Ehre Gottes in einem staatlichen Strafgesetzbuch nicht das zu schützende Rechts- gut sein können, waren bereits seit längerer Zeit hauptsächlich die „Gefühlschutztheorie“ und die „Friedenschutztheorie“ ver- treten worden. Nach dem Wil- len des österreichischen Gesetz- gebers sollen vom religiösen Frieden „die gesellschaftliche Ehre der einzelnen Religionsge- sellschaften und ihrer Angehö- rigen“, aber auch damit verbun- den „das religiöse Empfinden des Einzelnen“ umfasst sein. Man sieht also: eine Gefähr- dung des religiösen Friedens setzt zwingend eine (zumindest potenzielle) Verletzung religiö- ser Gefühle von Gläubigen vor- aus. Dies findet im Tatbestand der Herabwürdigung religiöser Lehren (§ 188 StGB) seinen Niederschlag (Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu sechs Mo- naten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen). Geschützt ist zunächst eine „Person“, der in einer Religion Verehrung zu- kommt. Dazu gehören etwa Je- sus Christus, seine Mutter und die Heiligen sowie Mohammed und Buddha. Weiters Sachen, die den Gegenstand der Ver- ehrung bilden, wie Kruzifix, Hostien und Reliquien. Der Be- griff „Verehrung“ ist in einem spezifisch religiösen Sinn zu verstehen, sodass etwa Perso- nenkulte um (lebende) Mitglie- der und Funktionäre nicht tatbestandlich sind. Der ange- führte Schutz der Glaubensleh- re beinhaltet im christlichen Bereich insbesondere zentrale dogmatische 1 Festlegungen. Was die ebenfalls genannten „gesetzlich zulässigen Einrich- tungen“ einer Religion betrifft, so wird damit auf bestimmte, für ihren Bestand wesentliche Verfassungselemente abgestellt. Dies sind das Papsttum, das Priestertum et cetera, nicht je- doch persönliche Angriffe ge- gen einen bestimmten Amtsin- haber. Welcher Maßstab ist anzu- wenden? Die Tathandlungen bestehen im Herabwürdigen oder Verspot- ten, also einem Verächtlich- oder Lächerlichmachen. Die Tat muss öffentlich (d. h. wahr- nehmbar für zirka zehn Perso- nen) und unter Umständen be- gangen werden, unter denen das Verhalten geeignet ist, be- rechtigtes Ärgernis zu erregen. Dafür ist ein mit den rechtli- chen Werten verbundener DurchschnittsmenschMaßstab, dessen Ermittlung allerdings meist auf Schwierigkeiten sto- ßen wird. Es muss nicht tat- sächlich Ärgernis erregt worden sein, es genügt die Eignung, Är- gernis zu erregen. Zur Frage, ob der Tatbestand der Herabwürdigung aus dem Grundrecht der Religionsfrei- heit hergeleitet werden kann, gibt es unterschiedliche Positio- nen. Verneint wird dies mit der Begründung, dass Religionsbe- schimpfung und -herabwürdi- gung prima vista 2 keine unmit- telbare Beeinträchtigung mit sich bringen, seinen Glauben zu bekennen und auszuüben. Dies ist jedoch der Fall, wenn herabwürdigende Äuße- rungen zu Verunsicherungen und Einschüchterungen führen, welche die Anhänger dieser Re- ligion davor abhalten können, diese öffentlich auszuüben. Zu betonen ist selbstver- ständlich, dass im demokrati- schen Rechtsstaat gewalttätige Reaktionen keinesfalls als Gradmesser für eine Gefähr- dung des religiösen Friedens verwendet werden dürfen. Dies würde geradezu eine Verkeh- rung der in der Friedenssiche- rung bestehenden gesetzgeberi- schen Zielsetzung bedeuten, wenn Einschränkungen der Meinungsfreiheit eher gerecht- fertigt würden, je überzogener und unverhältnismäßig die Re- aktionen auf Seiten der Gläubi- gen der angegriffenen bzw. her- abgewürdigten Religion sind. Karikatur, Satire, Parodie Insbesondere bei Karikatur, Ka- barett, Satire, Parodie handelt es sich um Formen der Meinungs- 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 162 164 Eine Erörterung schreiben Schritt 2: Verfassen Schriftliche Kompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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