sprachreif 2, Schulbuch

74 Referate an der Uni: Sie reden, wir leiden Von Jonas Leppin und Oliver Trenkamp | 16.11.2012 Hättet ihr geschwiegen! An der Uni nervt kaum etwas so wie schlechte Referate von Angebern, Hekti- kern, Verpeilern 1 . Dennoch quälen sich jedes Semester Menschen durch Vorträge, denen niemand zuhören will. Eine Typologie der schlimmsten Redner. Am Studium ist nichts so furchtbar wie schlechte Refera- te. Da stottern und schwitzen die Nervösen, da produzieren sich Selbstdarsteller, da nerven die Pedanten, da langweilen die Lustlosen. In kaum einer Situa- tion an der Uni verdichtet sich alles Furchtbare so wie in den Vorträgen von Studenten, die übermotiviert oder unfähig sind, aufgeregt oder ahnungs- los. Die Zeit dehnt sich, wie man das nur aus dem Chemie-Un- terricht der zehnten Klasse kannte, vor allem wenn vorne jemand steht, der mit monoton- er Stimme vom Blatt abliest. Weniger zur Gedulds- als zur Toleranzprobe wird der Vortrag hingegen, wenn vorne niemand steht, sondern auf- und abläuft, wild gestikuliert und sich für den akademischen Wiedergän- ger von Stefan Raab hält. Dem, was er für ein Pointen-Feuer- werk hält, lässt sich nicht ent- kommen. Man erlebt solche Kommili- tonen in allen Fachrichtungen und an allen Instituten, wenn auch in unterschiedlicher Häu- fung. Zwar gibt es an vielen Unis und Hochschulen mittler- weile Präsentationskurse, doch weit herumgesprochen scheint es sich oft noch nicht zu haben. Selbst elementare Rhetorik-Re- geln kennen oder beherrschen viele Referenten nicht − und so leiden allzu oft beide: Vortra- gende und Zuhörer. Für Dozenten jedoch ist das Referat ein beliebtes Mittel, ei- gene Aufgaben abzuwälzen oder zumindest auf das Nö- tigste zu reduzieren. Während sich vorn ein Student durch sei- ne Gliederung quält, lässt sich ja der Fachaufsatz des For- schungskollegen lesen oder ei- genen genialen Gedanken nachhängen. Es wird also auch künftig kaum ein Student den Vorträ- gen entkommen, die sich an- fühlen wie die Vorhölle. […] Der Angeber − Das Referat bin ich Für den Angeber ist ein Referat wie eine große Samstag- abendshow im ZDF. Er ist be- müht, sich etwas aus der grauen Kommilitonenmasse hervorzu- heben. Stets modisch gekleidet, kommt er gerade vom Flugha- fen, vom Uni-Präsidenten oder … […] Jedenfalls erzählt er das. Wie viel Arbeit in seinem Vortrag steckt, ist schwer zu sa- gen, er gibt sich jedenfalls im- mer viel Mühe, alles so leicht wirken zu lassen, als hätte er gerade das Vordiplom geschafft. Ach, wo wir gerade davon spre- chen, hat er ja auch. So hat er die Semesterferi- en verbracht: Nach einem Praktikum bei der EU hat er noch eine Studienreise nach Is- tanbul unternommen, weil die Stadt so viel zu bieten hat, kul- turell, historisch, politisch. Und weil seine Masche bei den Eras- mus-Studentinnen in den Bars so gut ankommt. So sieht sein Handout aus: Minimalistisch, maximal eine Seite, kurze Schlagworte, ge- druckt auf leichtem Karton- papier mit Wasserzeichen einer Galerie / des Deutschen Kon- sulats in New York / der US-Uni Berkeley. So etwas sagt er gern: „Das erinnert, wie Sie sicher wissen, an eine Passage aus Habermas’ ‚Strukturwandel der Öffentlich- keit‘ / an Kants ‚Kritik der rei- nen Vernunft‘ / an das Verhalten von Primzahlen im Unendli- chen. Ich sprach da neulich auch mit Joachim (Gauck) drüber, bevor ich meinen Vater in New York besucht habe, der ist dort Galerist / Konsul / Pro- fessor.“ So lange dauert es: Unter- schiedlich, aber immer geht es während eines Zehntels der Zeit ums Thema und den Rest der Zeit um ihn. So reagiert der Professor: „Danke Martin, grüß deinen Vater von mir.“ QUELLE: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/typologie-der-referenten-uni-vortraege-des-grauens-a-867538.html ; (abgerufen am 27.07.2015) 1 Bummelstudent 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 Mündliche Kompetenz 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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