global 8. Geographie und Wirtschaftskunde, Schulbuch

84 Fallbeispiel Konstruktionen von Räumen und raumbezogenen Identitäten untersuchen: Was ist Heimat? Was ist Heimat? Der österreichische Geograph Peter Weichhart bezeichnet Heimat als eine „grundsätzlich positive emotionale Bin- dung an jenes Gebiet oder Territorium, in dem man auf­ gewachsen ist und welches für längere Zeit das Zentrum der subjektiven Lebenswelt darstellt.“ (Weichhart 2006) In Zeiten der Globalisierung wächst bei vielen Menschen der Wunsch, sich irgendwo zuhause zu fühlen und ihre Wur- zeln zu schlagen. Heimat ist für viele der Ort, an dem sie aufgewachsen sind oder leben und wo ihre Muttersprache gesprochen wird. Die meisten Menschen (einer Studie zu- folge zum Beispiel 89 Prozent der Deutschen) verbinden Heimat nicht mit einem Land, sondern vielmehr mit der näheren Umgebung und ihrem Familien- und Freundes- kreis. Heimat ist mehr als nur ein Ort, sie ist auch ein Ge- fühl der Sicherheit und Geborgenheit. Die Geschichte des Heimatbegriffs im deutschen Sprachraum Der Begriff Heimat tauchte bereits im Mittelalter auf und drückte den Besitz von Haus und Hof in einer Gemeinde aus. Heimatrecht erlaubte die Niederlassung und Aus- übung von Arbeit in einer Siedlung. Mit dem Beginn der Industrialisierung am Ende des 18. Jahrhunderts erlangte der Heimatbegriff eine neue Bedeutung. Im Zuge der Technisierung und der daraus resulitierenden Abwande- rung vieler Menschen aus ländlichen Regionen in die Städte war Heimat Ausdruck von Sehnsucht nach vertrau- ter Landschaft und Natur und wurde in vielen Werken der Romantik beschrieben. Im 19. Jahrhundert erlebte der Heimatbegriff erstmals eine Politisierung, als der Ruf nach einem einheitlichen Deutsch- land lauter wurde. Heimat wurde zum Synonym für Vater- land und Nation. Im nationalsozialistischen Deutschland des 20. Jahrhunderts wurde Heimat schließlich etwas, das Ausschluss für alle Nicht-Deutschen, insbesondere Jüdinnen und Juden, bedeutete und der deutschen, arischen „Rasse“ vorbehalten war. In den 1950-er Jahren wurden Heimatfilme populär. Sie vermittelten den Zuschauerinnen und Zuschau- ern nach den erlebten Schrecken des vergangenen Krieges eine heile Welt, Frieden und Geborgenheit. Damit traf die- ses Filmgenre den Nerv der Zeit perfekt. Heute wird Heimat in politischen Kampagnen zur Schaf- fung und Kontrolle von Regionalbewusstsein verwendet. Der Heimatbegriff ist angesichts der geschichtlichen Ent- wicklung daher kritisch zu betrachten. Neue Heimat: die Teilung der Tschechoslowakei Die Teilung der Tschechoslowakei in die beiden Nachfolge- republiken Tschechien und Slowakei erfolgte am 1. Jänner 1993 als Folge eines Regierungsentschlusses. Nur ein gerin- ger Prozentsatz der Bevölkerung befürwortete diese Ent- scheidung, weshalb die damalige Regierungsspitze auch auf ein Referendum verzichtete. Trotz der Eigenstaatlichkei- ten ist die Bevölkerung über die Staatsgrenzen hinweg noch immer eng miteinander verbunden (M2). Bei Umfra- gen wird das Nachbarland immer als das sympathischste Land genannt. Allerdings haben sich die beiden Länder trotz aller Gemeinsamkeiten auch auseinanderentwickelt. Die Einstellung zur Europäischen Union, der beide Staaten im Rahmen der Osterweiterung im Jahr 2004 beitraten, könnte nicht gegensätzlicher sein. Die Slowakei, die Mit- glied der Währungsunion ist, gilt als EU-freundlich, wäh- rend Tschechien als großer EU-Skeptiker gilt. Aktuell gibt es Regionen in Europa, die sich von ihrem Nati- onalstaat abgrenzen wollen. Katalonien strebt schon lange die Unabhängigkeit von Spanien an, in Belgien wollen sich die Flamen und Wallonen voneinander abspalten. Eva Pölzl, Moderatorin „Guten Morgen Österreich“ „Heimat ist für mich der Platz, der mir zu 100% vertraut ist, mit dem ich mich identifiziere. Das muss nicht zwangsläu- fig ein Ort sein. Heimat kann genau so gut ein Geschmack, ein Geruch oder ein Gefühl sein. Ganz bestimmt aber bedeutet Heimat für mich Menschen, die mir nahe sind und deren Werte ich teilen kann.“ Maria Rauch-Kallat, Ex-Ministerin und Unternehmerin „Heimat ist für mich dort, wo ich mich zu Hause fühle, wo es Menschen gibt, mit denen ich verbunden bin. Ich bin stolz und dankbar, dass Österreich meine Heimat ist.“ Sepp Forcher, Moderator „Den Begriff „Heimat“ kann man verschieden sehen. Die totalitären Regime wie der Nationalsozialismus machten sich das zunutze: Heimat, Trachten, Aufmärsche, Fahnen, Schießen, Musizieren. Das ist ja etwas Großartiges und das wird dann vom Regime gefördert. Es ist aber ein Miss- brauch. Nach dem Krieg haben es diese Vereinigungen, die so gefördert wurden, schwer gehabt, wieder auf ein normales Maß zurückzukommen. Es ist aber eine Tatsa- che: Ohne Blasmusik geht es nicht (lacht). Das gehört zur dörflichen Gemeinschaft dazu. Es geht immer ums Zusam- menhelfen. Wenn die Politik diesen Gemeinschaftsgedan- ken aufplustert und auf die ganze Nation überträgt, wird es gefährlich.“ (Auszug aus: https://kurier.at/politik/inland/bundespraesi­ dentschaftswahl-was-bedeutet-heimat-fuer-sie/194 080 689, 21. 4. 2016, abgerufen am 10. 4. 2018) M1 Was bedeutet Heimat für Sie? Kompetenzorientierte Lernziele  Konstruktionen von Räumen und raumbezogenen Identitäten untersuchen  die Entwicklung des Heimatbegriffs analysieren und kritisch hinterfragen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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